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Der Traum der Hebamme / Roman

Der Traum der Hebamme / Roman

Titel: Der Traum der Hebamme / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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Weg!«, brüllte Gertrud und schlug mit aller Kraft auf den Auslöser ihres momentanen Zornes ein: ein etwa achtjähriges Kind, zweifelsfrei ein Simpel, das zerlumpt und stammelnd auf der Burg umherirrte und gern die Leute an den Sachen zupfte, um da und dort ein Lächeln zu erhaschen, das es mit seinen verzerrten Gesichtszügen glücklich erwiderte. Doch mit der Frau des Verwalters hatte es eine schlimme Wahl getroffen. Wütend prügelte sie auf den Jungen ein, der sich wimmernd zusammenkauerte und die Hände an den Kopf presste.
    Niemand wagte es einzugreifen, bis Gertrud nach einem Holzscheit griff, um noch kräftiger zuschlagen zu können. Da rannte eine der Frauen in der Nähe kreischend los und rief nach Marthe. Die war bereits auf das Geschrei aufmerksam geworden und bahnte sich den Weg durch die Menschen auf dem Hof.
    »Hört auf!«, schrie sie, während sie sich zwischen das Kind und Gottfrieds Frau zwängte. »Ihr schlagt ihn noch tot!«
    Plötzlich stand Thomas neben ihr, obwohl der eigentlich auf den Wehrgängen patrouillieren sollte, wand Gertrud das Scheit mit hartem Griff aus der Hand und warf es einem der Knechte zu, die das Backhaus befeuerten.
    Gertrud wich zurück und zuckte nur noch mit den Armen.
    »Geht!«, schrie Marthe sie zornig an. »Sofort! Geht in die Küche, und kümmert Euch um das Essen für die Wachen!«
    Nach einem Moment der Starre machte Gertrud kehrt und rauschte davon, den Kopf beleidigt in den Nacken geworfen.
    Nun kauerte sich Marthe hin und zog das jammernde Kind an sich, das Rotz und Wasser heulte. »Ist ja gut«, murmelte sie und strich ihm über den stachligen Schädel. Irgendeine gutmeinende Seele hatten dem Jungen die Haare geschoren, um ihn von den allgegenwärtigen Läusen zu befreien.
    Dann blickte sie um sich und sagte zu der Gevatterin, die sie gerufen hatte: »Hol ihm ein Stück Brot, ja?«
    Rasch war die Alte aus dem halbverbrannten Backhaus zurück.
    Marthe hielt dem heulenden Jungen den Kanten vors Gesicht. »Hier, für dich!«
    Mitten im Schreien verstummte der Kleine, ergriff die unerwartete Gabe und stopfte sie sich sofort in den Mund. Während er kaute, zog ein glücklicher Ausdruck über sein missgestaltetes Gesicht.
    Erleichtert darüber, dass die Sache ohne größeren Schaden beendet war, richtete sich Marthe auf, strich über den Stoff ihres Kleides in dem vergeblichen Versuch, ihn zu glätten, und lief Richtung Turm. Sie musste sofort mit Norbert reden, das ließ sich nun nicht mehr vermeiden.
    Manchmal beneidete Marthe Clara, obwohl diese kaum noch Zeit zum Schlafen fand. In der Nacht zuvor hatte sie der jungen Frau des Schuhmachers geholfen, ihr erstes Kind auf die Welt zu bringen, und bei so vielen Flüchtlingen auf der Burg gab es immer irgendwelche Wunden zu nähen, Abszesse zu öffnen oder sonstige Leiden zu behandeln. Während ihres Aufenthaltes in Weißenfels hatte sich Clara nicht nur einen Vorrat an nützlichen Kräutern zugelegt, sondern auch einen Ruf als Heilerin erworben. Deshalb überließ Marthe ihr und ihren Helfern guten Gewissens die Fürsorge für die Kranken. Sie selbst hatte alle Hände voll zu tun, die Vorräte einzuteilen, dafür zu sorgen, dass es für alle zu essen gab, die Tiere gefüttert wurden und vor allem unter den Eingeschlossenen keine Verzweiflung aufkam. Das war das Schwierigste von allem, und manchmal wusste sie nicht mehr, wie sie das noch schaffen sollte.
     
    Der Befehlshaber der Burg stand mit einigen seiner Ritter auf dem Turm und beobachtete das Treiben auf dem benachbarten Hügel. Albrechts »Gegenburg« bestand mittlerweile aus etlichen Zelten, mehreren Leinendächern für die Mahlzeiten der Ritter und ein paar Feuerstellen. Die Hälfte des Lagers war bereits von Palisaden umgeben. Wo die Schutzwände noch fehlten, rammten mehrere Dutzend Knechte frisch geschlagene und behauene Pfähle in das Erdreich, an geeigneten Stellen wurden Gräben ausgehoben.
    Seine kaltblütigste und vielleicht wirkungsvollste Maßnahme war jedoch, jeden Morgen einen Boten zum Burgtor zu schicken, der laut verkündete: Für jeden Tag, den die Eingeschlossenen die Kapitulation hinauszögerten, würde der Fürst nach Einnahme der Burg zwei Dutzend Gefangene hinrichten lassen. Es sei denn, sein Bruder stelle sich, allein und waffenlos.
    Albrecht schien nicht zu wissen, dass Dietrich Weißenfels verlassen hatte. Das war das einzig Gute an ihrer derzeitigen Lage.
    Aber es bestand keine Aussicht, diese Drohung unter den Eingeschlossenen

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