Der Traum der Hebamme / Roman
das war ihm klar. Aber dieser Bursche sollte sich bloß nicht zu viel einbilden.
»Die erbeuteten Weiber sind nach allgemeiner Auffassung für alle da«, erklärte er kühl. »Sonst meutern meine Männer, und ich kann es ihnen nicht verdenken.«
»Ich verzichte auf jeden sonstigen Anteil an der Beute«, beeilte sich Rutger zu versichern. »Und ich werde sie den anderen Männern überlassen, sobald ich mit ihr fertig bin.« Nun konnte er ein selbstgefälliges Grinsen nicht zurückhalten. »Oder das, was dann von ihr noch übrig ist. Ich habe einige Rechnungen mit diesem Verräter Reinhard offen, für die sie zahlen soll.«
»Einverstanden«, entschied Albrecht, der wusste, dass es die Stimmung unter seinen Männern hob, nicht nur einfach ein paar Bauern totzuschlagen, sondern auch persönlich Rache zu nehmen für alle möglichen Zwistigkeiten.
Rutger wollte schon aufstehen und gehen, aber Albrecht hielt ihn mit einer Geste zurück.
»Bei der Gelegenheit findet heraus, ob die Brut dieses Weibes noch lebt! Und wenn das der Fall ist, tötet auch die! Diese Linie soll bis aufs letzte Glied ausgelöscht werden.«
»Mit Vergnügen!«, versicherte Rutger, und von einem Hochgefühl erfüllt, ging er mit Elmar hinaus.
»Wie ist die Lage dort drüben?«, erkundigte er sich bei seinem Ziehvater, nachdem sie das Zelt verlassen hatten. Der Truchsess winkte einen Reisigen herbei und befahl, seinem Sohn sofort vom besten Wein zu bringen, dann fasste er in wenigen Worten zusammen, was er wusste.
»Sie haben kaum erfahrene Kämpfer, höchstens drei Dutzend, dazu noch ein paar Bogenschützen und ein paar Tölpel, die nicht viel taugen und im Ernstfall vor ihrem eigenen Schatten ausreißen. Dafür hocken dort ein paar hundert Flüchtlinge aus den Dörfern, die wir niedergebrannt haben, und fürchten sich zu Tode. Vermutlich haben sie nur noch für ein paar Tage zu fressen. Aber was uns am meisten in die Hände spielt, ist ihre Angst. Wir schicken jeden Morgen einen Boten zum Tor, der ankündigt, dass für jeden Tag, den sie zögern, nach dem Sturm zwei Dutzend Gefangene hingerichtet werden – wahllos Männer, Frauen, Kinder. Das wird Wirkung zeigen. Eher heute als morgen.«
»Und Graf Dietrich?«
»Überrascht mich wirklich«, gestand Elmar. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Am ersten Morgen forderte er seinen Bruder zum Zweikampf heraus, was natürlich kein Mensch hier ernst genommen hat. Seitdem lässt er sich nicht mehr blicken. Und das bringt mich zum Nachdenken. Begreift er insgeheim, dass er keine Chance hat, und will nur das Unvermeidliche hinauszögern? Hofft er darauf, dass uns der Winter zwingt, die Belagerung abzubrechen? Oder führt er irgendetwas im Schilde, das ich noch nicht zu erkennen vermag?«
»Vielleicht erfahren wir jetzt mehr«, meinte Rutger zuversichtlich. »War heute schon ein Bote oben?«
»Ja, und ohne Antwort, wie immer. Aber sie werden mürbe.«
Rutger befahl einen seiner Knappen herbei und ließ sich von ihm ins Kettenhemd helfen. Den Gambeson trug er bereits, und auch die Kettenbeinlinge waren schnell angelegt.
Auf Polster- und Kettenhaube verzichtete er gegen die Einwände seines Ziehvaters. »Dieser Bastard steht bestimmt da oben in den Wehrgängen und starrt finster auf uns herab. Ich will, dass er schon von weitem erkennt, wer kommt. Und ich glaube nicht, dass er seine Bogenschützen auf mich anlegen lässt.«
Rutger grinste verächtlich. »Er ist nicht von diesem Schlag. Das wäre nicht ritterlich. Ich weiß, wie ich ihn dazu bringe, dass er mich unbedingt mit eigener Hand töten will. Entweder er kommt vors Tor, oder ich erschlage ihn in ein paar Tagen, wenn die Verstärkung da ist und wir das Felsennest sturmreif geschossen haben. Er wird nach mir suchen, dafür garantiere ich.«
»Dann mach deine Sache gut!«, ermahnte ihn Elmar. »An dieser Angelegenheit haben wir nicht nur unser Vergnügen, sondern können uns damit auch bleibende Verdienste erweisen. Soll ich dich begleiten?«
»Nein, lasst nur«, wehrte Rutger ab. »Das ist eine Sache zwischen ihm und mir.«
Er brauchte keinen Aufpasser. Und er wollte den Triumph nicht teilen, nicht einmal mit seinem Ziehvater.
»Ein einzelner Reiter nähert sich!«, rief Conrad von Weißenfels vom Torhaus herab.
»Ein Ritter, ohne Helm … und mit feuerrotem Haar«, ergänzte er leiser. »Holt rasch einen der Freiberger her, dahinter steckt bestimmt etwas Besonderes.«
Kuno rannte schon als Erster die Treppe herauf.
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