Der Traum der Hebamme / Roman
er Bitterkeit, Selbstzweifel und Hass.
Ich muss unbedingt mit ihm reden, und wenn ich ihn an den Haaren in meine Kammer zerre!, dachte sie nicht zum ersten Mal.
»Guter Auftritt«, wiederholte Norbert. »Dieser Kerl hat uns etwas verraten, vermutlich ohne es zu wollen. Und das zwingt uns sofort zum Handeln.«
Thomas sprach aus, was der Burgkommandant meinte. »Woher wissen die, dass meine Schwester hier ist? Noch vor ein paar Tagen ahnte niemand in Weißenfels außer Euch, wer sie wirklich ist. Und als Graf Dietrich nach seiner Ankunft Claras wahren Namen enthüllte, blieb eigentlich keine Gelegenheit, damit diese Nachricht bis nach Meißen oder Freiberg durchdringen könnte. Es sei denn …«
»Jemand schlich sich unbemerkt aus der Burg und verriet es ihnen«, brachte Norbert den Satz zu Ende. Er hatte so etwas die ganze Zeit schon geargwöhnt, und deshalb war die Gruppe der Leute, die er in seiner Kammer versammelt hatte, auch sehr klein und ungewöhnlich zusammengesetzt: seine Söhne, Thomas, Marthe und die beiden Freiberger Sergenten, die sich schon einmal ins feindliche Lager geschlichen hatten. Einen Moment lang hatte er erwogen, Clara ebenfalls hinzuzuziehen, denn diese Angelegenheit betraf sie schließlich persönlich. Doch es wäre zu auffällig, sie aus dem Krankenlager zu holen, wo sie alle Hände voll zu tun hatte.
»Wir müssen Eure Schwester einweihen und ihr besonderen Schutz gewähren, wenn es zum Kampf kommt«, sagte er zu Thomas.
Noch bevor dieser danken konnte, erklärte sich Conrad bereit, diese Aufgabe zu übernehmen.
»Und jetzt will ich wissen, welche Ratte sich hier fortgeschlichen und denen etwas gesteckt hat«, knurrte Norbert. »Wer der Verräter ist und was die dort drüben über uns wissen!«
»Mit Verlaub, Herr«, meldete sich zu aller Überraschung Kuno zu Wort. »Wenn dieser Rutger hier plötzlich aufgetaucht ist, dann haben wir ganz bestimmt in seiner Nähe einen heimlichen Verbündeten.«
Mit vergnügtem Grinsen blickte er zu Marthe und Thomas. »Peter! Das ist sein Pferdeknecht«, erklärte er Norbert. »Er hält ihn für einen gehorsamen Diener. Aber glaubt mir, Herr – gegen den sind Bertram und ich geradezu harmlos, unschuldig wie neugeborene Kinder. Dieser Peter stiehlt Euch das Laken unter dem Kopf weg, ohne dass Ihr es merkt, wenn es sein muss. Ich halte jede Wette, dass er längst die Ohren spitzt, vielleicht schon die Befreiung Raimunds von Muldental plant und darüber nachdenkt, wie er uns ein paar interessante Nachrichten zukommen lässt.«
»Ist der Rotschopf solch ein Dummkopf?«, fragte der hagere Burgkommandant zweifelnd. »Ich neige nicht dazu, einen Gegner zu unterschätzen.«
»Dumm ist er ganz gewiss nicht«, antwortete Marthe, noch bevor Thomas sich dazu äußern konnte. »Er ist gerissen, bösartig und trotz der spöttischen Bemerkungen meines Sohnes ein ernstzunehmender Gegner, und zwar in jeglicher Hinsicht. Er hat Blut auf sich geladen und Menschen großes Leid zugefügt, die ich schätze. Ich weiß, Gott sagt: Die Rache ist mein. Aber weder ich noch meine Tochter werden jemals ruhig schlafen können, solange dieser Mensch und sein Stiefvater leben …«
Das war eine Antwort, mit der Norbert in solcher Härte nicht gerechnet hatte. So genau es ging, ohne sie anzustarren, versuchte er, Marthes Züge zu erforschen. Was war da vorgefallen, abgesehen vom Verrat an Claras Mann?
Dass in dieser zierlichen, zarten Frau mehr steckte, als der äußere Anschein glauben ließ, das hatte er rasch erkannt. Sie stand in einer schwierigen Lage ihren Mann, wie er es sich besser nicht hätte wünschen können. Aber dass sie den Tod zweier Ritter aus einem angesehenen Geschlecht forderte …
Es würde ihn kaum mehr erschüttern, wenn ihm jemand verraten hätte, dass sie auch den Tod des Markgrafen von Meißen verlangte.
»Dieser Peter ist als Dieb aufgewachsen, bis sich mein früherer Gemahl seiner annahm«, erklärte Marthe nach einem tiefen Atemzug ruhiger. »Er ist mit allen Wassern gewaschen und steht zuverlässig auf unserer Seite. Wir sollten seine Geschicklichkeit nutzen.«
»Also müssen wir noch einmal jemanden in ihr Lager schmuggeln«, meinte Norbert. »Um herauszufinden, was sie alles wissen und wer der Verräter ist.«
»Eines finde ich merkwürdig«, sagte Conrad nachdenklich zu Marthe. »Sie wissen, dass Thomas und seine Schwester hier sind, aber offenkundig nichts von Euch und Euerm Gemahl.«
»Ich habe mich an der Furt offen zu erkennen
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