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Der Traum der Hebamme / Roman

Der Traum der Hebamme / Roman

Titel: Der Traum der Hebamme / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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nicht mehr verlassen.«
    Einen Augenblick lang schienen alle im Raum wie erstarrt.
    Dann beugte sich Norbert vor und packte den Graubart am Halsausschnitt seines Bliauts. »Die größte Schande, du Feigling, ist nicht etwa, dass dein eigen Fleisch und Blut sich davongestohlen hat, um uns an den Feind zu verraten. Sondern dass du es seit Tagen gewusst und nichts gesagt hast!«, wütete er.
    Dann ließ er den anderen los und sah ungerührt zu, wie er zu Boden stürzte.
    »Dein einziges Glück ist, dass er die wichtigste Sache nicht wusste und deshalb nicht verraten konnte. Sonst hätten wir ihm die Zunge in den Hals gestopft, bis er daran erstickt wäre. Aber Albrechts Leute haben ihm schon den Garaus gemacht.«
    Ohne auf das Ächzen des Alten und den Aufschrei Gertruds zu achten, drehte er sich um und ging zur Tür.
    »Schafft mir den Kerl aus den Augen!«, befahl er.
    Seine Männer sahen keinen Anlass, dabei Vorsicht walten zu lassen.

Vor der Schlacht
    A m nächsten Tag war Marthes Geduld erschöpft. Mit funkelnden Augen baute sie sich vor ihrem ältesten Sohn auf.
    »Nun hör endlich auf damit, an mir vorbeischleichen zu wollen, und komm in meine Kammer, damit ich nach deinen alten Wunden sehen kann!«
    Wie ein Kind, das bei etwas Unerlaubtem ertappt worden war, starrte Thomas auf seine Mutter.
    »Das hat Clara schon getan«, unternahm er einen letzten Versuch, der natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
    Marthe machte sich erst gar nicht die Mühe, etwas sagen zu wollen. Auf ihrem Gesicht las er es auch so: dass Clara mehr als genug zu tun hatte, wie närrisch es war zu hoffen, er könne ihr auf Dauer entrinnen, und dass dieser Moment hier schon viel früher gekommen wäre, hätte seine Mutter die Sache mit weniger Nachsicht betrieben.
    Doch wahrscheinlich würde morgen die Schlacht um Weißenfels geschlagen. Im besten Fall kam Dietrich mit einer thüringischen Streitmacht, und gemeinsam würden sie Albrecht in die Flucht jagen; im schlimmsten Fall traf die Verstärkung aus Meißen ein und begann mit dem Sturm auf die Burg. Es war wohl besser,
vor
der Schlacht nicht nur mit Gott und dem eigenen Gewissen ins Reine zu kommen, sondern auch mit seinen Nächsten.
    »Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du einem wirklich unheimlich sein kannst?«, murmelte er, während er gehorsam zu ihrer Kammer voranlief.
    »Ja, stell dir vor, einmal wollten sie mich deshalb sogar schon ertränken«, entgegnete sie auf eine Art, die ihn verwunderte: Sie schien in diesem Moment eher belustigt darüber als entsetzt. Dann ging ihm auf, dass sie sich wohl über ihn lustig machte. Und schließlich schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, welche Kraft in ihr stecken musste, wenn sie über so etwas Schreckliches noch scherzen konnte.
    Doch als Marthe in der kleinen Gästekammer die vernarbte Wunde an seinem linken Arm zum ersten Mal sah, war es mit ihrer Spottlust schlagartig vorbei.
    Sie biss sich auf die Unterlippe und beugte sich so dicht über die verheerenden Spuren, die Wundbrand, Messer und Kautereisen hinterlassen hatten, dass er rasch den Gedanken verwarf, es könne daran liegen, dass ihre Augen nicht mehr so tüchtig waren wie früher. Ihr Mundwinkel zuckte verdächtig, und dann blickte sie auf, ihm direkt ins Gesicht, und weinte. Als Heilkundige konnte sie anhand der Spuren ermessen, was er durchlitten haben musste.
    Er zog seine Mutter an sich und umarmte sie, raunte etwas Tröstendes, wischte ihr die Tränen von den Wangen …
    Und obwohl ihm dabei schwer ums Herz zumute war, schien es, als ob sie mit jedem Atemzug einen Teil dieser Schwere von ihm nahm.
    Endlich löste sich Marthe von ihrem Sohn, schniefte, fuhr sich mit dem Ärmel ihres Kleides übers Gesicht und holte einen Tiegel aus dem Korb, der auf der einzigen Truhe im Raum stand.
    »Immerhin, der Arm ist ja noch dran«, durchbrach er das schmerzende Schweigen im Raum. »Wenn Roland nicht gewesen wäre, hätten sie ihn mir abgenommen, damals, in Ikonium …«
    Mit diesem einen Wort war plötzlich alles wieder gegenwärtig, was er monatelang versucht hatte zu vergessen: der Schlachtenwahn, die Ströme von Blut, der Gestank der Toten, die unbegraben in der Sonne verwesten … Jene fremdartige Welt, in die sie nur gekommen zu sein schienen, um zu töten und zu sterben.
    »Ich weiß«, entgegnete sie zu seiner Überraschung.
    Thomas fragte nicht, woher. Mit einem Mal schienen die Worte in seinem Körper gefangen zu sein, ohne herauskommen zu können.

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