Der Traum der Hebamme / Roman
Bewusstlosen niederknien konnte. Sie fühlte dessen schwachen Puls und wandte sich der Wunde zu. Lukas hatte viel Blut verloren, und der hellrote Schaum war ein beunruhigendes Anzeichen dafür, dass die Lunge verletzt war. Wie tief? Sie tränkte ein Stück Leinen mit einem Sud, legte es über die Wunde und wickelte einen straffen Verband darum. Nähen musste sie auf der Burg, sie brauchte mehr Wasser, um die Wunde und ihre Hände zu reinigen.
»Legt ihn auf den Karren, ganz vorsichtig!«, bat sie die beiden Thüringer. Sie stemmte sich hoch und wollte ihnen folgen, doch Thomas hielt sie für einen Moment zurück.
»Es ist meine Schuld«, gestand er voller Verzweiflung. »Rutger hat mich herausgefordert … und plötzlich waren da vier Gegner auf einmal … Wenn Lukas nicht gekommen wäre …«
»Dann wärst du jetzt auch tot«, fuhr sie ihn unwirsch an. Sie wollte jetzt keine Schuldbekenntnisse und Erklärungen hören. »Bist du unverletzt?«
Thomas nickte. Die paar Prellungen zählten nicht.
»Dann preise Gott und hilf Graf Dietrich und deiner Schwester! Ich muss mich jetzt um deinen Vater kümmern.«
Schon lief sie los, kein Auge von Lukas lassend, den die beiden Thüringer zum Karren trugen, wobei sie sich nach Kräften mühten, für den Verletzten so wenige Erschütterungen wie möglich zu verursachen.
Thomas wusste nicht, ob er sich nun schlechter oder besser fühlen sollte. Wenn jemand seinen Stiefvater retten konnte, dann seine Mutter. Doch hier unten zu stehen und nicht zu wissen, ob Lukas durchkommen würde, war einfach kaum auszuhalten. Trug er die Schuld an dem Unglück? Er war auf Rutgers Provokation hereingefallen. Doch ignorieren hätte er sie auch nicht können. Dafür stand zu viel Blut zwischen ihnen beiden, zu viel Leid, das Rutger und sein Vater über Thomas’ Familie gebracht hatten. Ganz zu schweigen von der öffentlichen Schmähung seiner Schwester.
Dass Rutger abermals davongekommen war, machte ihm beinahe so viel zu schaffen wie Lukas’ Verletzung. Der Ziehsohn des Truchsessen als Geisel wäre ein gutes Druckmittel für die Kapitulationsverhandlungen gewesen. Andererseits: Gab es überhaupt jemanden, den Albrecht
nicht
bedenkenlos opfern würde?
Eingedenk der Ermahnung seiner Mutter und seiner letzten Überlegungen ging Thomas nun zu der Stelle, wo die meißnischen Gefangenen bewacht wurden, an die fünfzig Ritter und zwei Dutzend Sergenten. Graf Dietrich war bereits dort und rief Clara zu sich, die einige Schritte hinter ihm wartete.
Als Thomas erkannte, wem seine Schwester da das Handgelenk schienen sollte, erfüllte ihn Genugtuung. Unter den Gefangenen – verletzt, leicht wankend, aber auf eigenen Beinen stehend – war Albrechts Marschall. Und direkt neben ihm stand der fette Mundschenk, dessen Pferd sich vermutlich geweigert hatte, die übermäßige Last schnell genug nach Burgwerben zu schleppen.
»Seid Ihr imstande, mich auf die Burg zu begleiten?«, fragte Dietrich den meißnischen Marschall. »Sofern Eure Verletzungen es zulassen, möchte ich, dass Ihr meinem Bruder die Bedingungen für den Freikauf seiner Gefolgsleute überbringt.«
Gerald schossen bei diesen Worten allerhand bissige Antworten durch den Kopf, die sich auf Albrechts vermutlich geringe Bereitschaft bezogen, seine Leute auszulösen, und seine eigenen Aussichten, als Überbringer der schlechten Botschaft hingerichtet zu werden. Aber einerseits fühlte er sich ohnehin schon halbtot, nachdem er das Gewicht seines Hengstes auf den Knochen gespürt hatte, und zugleich drückte ihn das Gewissen, dies sei vielleicht die gerechte Sühne für seinen Anteil an der Hinrichtung Reinhards.
Er hatte Albrecht das Schwert dazu gereicht – in dem Glauben, der Fürst würde nie und nimmer seine Drohung wahrmachen und mit eigener Hand einem seiner Ritter den Kopf abschlagen, noch dazu nur wegen einiger fragwürdiger Behauptungen Rutgers, die Reinhards Verrat nicht einmal zweifelsfrei bewiesen.
Doch das ging Dietrich nichts an, und Claras Gegenwart machte die Angelegenheit noch schwieriger. Er wollte sich bei ihr dafür entschuldigen, dass er ihr einst in Meißen nicht beigestanden hatte, als Elmar sie bedrohte. Aber ihr eisiger Blick ließ ihn verstummen.
Also sagte Gerald, den Schmerz so gut es ging unterdrückend: »Wenn Ihr das wünscht, Graf Dietrich, werde ich es tun.«
Er war sich nicht sicher, ob Albrecht ihn überhaupt anhören würde oder ihn nun ebenfalls als Verräter betrachtete. Aber das würde
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