Der Traum der Hebamme / Roman
und blutdurchtränkt.
Mutter schlägt mich tot, wenn Lukas meinetwegen draufgeht, dachte Thomas; der Hals war ihm wie zugeschnürt. Und was wird Graf Dietrich sagen, wenn er ihn verliert, nur weil ich mich von diesem Bastard Rutger provozieren und in eine Falle locken ließ?
»Er atmet noch«, sagte Bruno von Hörselberg – jener Ältere, der nur zwei Finger an der rechten Hand hatte.
Lukas’ Haut war totenblass und mit kaltem Schweiß bedeckt.
O bitte, allmächtiger Herrscher im Himmel, lass ihn nicht sterben!, flehte Thomas stumm. Seine Sorge steigerte sich zu Entsetzen, als er sah, dass dem Verletzten hellroter Schaum aus dem Mund lief. So war es auch bei Roland gewesen – und wenig später war der Freund tot.
»Tragen wir ihn vorsichtig zu den anderen Verletzten«, sagte er mit rauher Stimme, und lange hatte er sich nicht so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick.
Jetzt konnte er nur hoffen, dass seine Mutter und seine Schwester rasch aufs Schlachtfeld kamen, um sich an Ort und Stelle der Verwundeten anzunehmen.
Die meisten der Dörfler, die auf Burg Weißenfels geflüchtet waren, hatten das Geschehen in der Ebene mit bangem Herzen von der Mauer aus verfolgt. Sie hielten den Atem an, als die Feinde den Klemmberg hinunterdonnerten, und jubelten, als die eigenen Leute zusammen mit den thüringischen Verbündeten die Angreifer überwältigten oder in die Flucht trieben. Als sie aus Richtung Osten noch mehr Feinde nahen sahen, beteten sie erneut für Dietrich und seine Männer. Von deren Kampfgeschick hing ihr Leben ab. Deshalb erklangen lautstarke Freudenrufe von den Burgmauern, als sie sahen, wie auch die meißnische Verstärkung besiegt wurde. Die vollbeladenen Trosskarren waren nun Kriegsbeute.
Norbert schickte seinen ältesten Sohn vom Schlachtfeld zur Burg mit dem Befehl, die Zugbrücke herabzulassen und das Tor zu öffnen. Die Herrin Marthe und ihre Tochter sollten sogleich kommen, um nach den Verwundeten zu sehen, ein Dutzend Knechte ihnen zur Hand gehen, und außerdem wurden Fuhrleute benötigt, die die Trosskarren auf die Burg brachten. Die Übrigen sollten dafür sorgen, dass für die Kämpfer bald etwas zu essen und zu trinken auf die Tische kam.
Marthe und Clara hatten vom höchsten Punkt des Turmes aus das Geschehen beobachtet und für das Leben der Männer gebetet, die sie liebten. Nun bahnten sie sich den Weg über den Hof, wo die Flüchtlinge aus den Dörfern und das Burggesinde vor Freude jubelten, weinten, sich in den Armen lagen.
So erleichtert sie sich fühlten über den rasch errungenen Sieg – zur Freude war für sie jetzt nicht der Moment. Gleich würden sie Dutzende Tote und Verletzte mit den grässlichsten Wunden vor sich haben. Und von den Verwundeten würden trotz aller Mühe noch etliche sterben, ihnen unter den Händen weg verbluten.
Der Pater von Sankt Nikolai schloss sich ihnen unaufgefordert an. Auch Vater Ansbert würde jetzt alle Hände voll zu tun bekommen, um den Sterbenden die letzten Sakramente zu gewähren.
Etliche der Frauen, die auf die Burg geflüchtet waren, folgten ihnen, um zu sehen, ob es ihren Männern oder Söhnen gutging, oder um sich um ihre Wunden zu kümmern.
Nach der Schlacht
D er Himmel war inzwischen aufgeklart an diesem kühlen Herbsttag, aber der Boden so kalt, dass sich an den Rändern der Pfützen – ob nun Wasser oder Blut – bereits erste Eiskristalle bildeten.
Marthe und auch ihre Tochter hatten schon unzählige Kranke und Verletzte behandelt, die schlimmsten Wunden gesehen und vielen Sterbenden die Hand gehalten, für die sie nichts mehr tun konnten, als ihnen in ihren letzten Momenten durch ihre Gegenwart Trost zu spenden.
Doch selbst die Summe all dieser traurigen Einzelschicksale konnte nicht aufwiegen, was sich ihren Augen und Ohren darbot, als sie zum Schlachtfeld liefen.
Was schon von weitem als Erstes auffiel, waren das laute, durchdringende Wiehern und die zuckenden Bewegungen der vielen Pferde, die so schwer verletzt worden waren, dass sie nicht mehr aufkamen. Männer schritten über das Feld und gaben den gequälten Kreaturen den Gnadenstoß.
Dazwischen mischte sich das Schreien und Stöhnen der Verwundeten, die um Hilfe riefen, fluchten oder verzweifelt beteten.
Etliche Männer waren bereits dabei, das Schlachtfeld aufzuräumen. Reisige trugen die getöteten Feinde beiseite; dort begannen ein paar Knechte damit, ein großes Grab auszuheben. Auf dem Feld und in der näheren Umgebung trieben weitere die
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