Der Traum der Hebamme / Roman
sich bald herausstellen.
Giselbert, der fette Mundschenk, starrte hoffnungsvoll auf Dietrich. Anscheinend erwartete er aufgrund seines Amtes eine besondere Behandlung. Doch der Graf von Weißenfels tat nichts dergleichen, was Thomas mit einer gewissen Schadenfreude erfüllte – auch wenn das natürlich eine Sünde war.
Er ließ seine Blicke über die Gefangenen kreisen, von denen er die meisten aus seiner Knappenzeit auf dem Meißner Burgberg kannte. Manche starrten ihn an wie einen Geist; vermutlich hatte sich nicht überall herumgesprochen, dass er noch lebte. Andere voller Hass, manche aber auch mit einem verstohlenen Lächeln. Nicht alle folgten Albrecht aus Überzeugung, sondern einige – wie Raimund, von dem jede Spur fehlte – nur, weil Albrecht nun eben der von Gott und dem Kaiser eingesetzte Herr über die Mark Meißen war, ob es ihnen passte oder nicht.
Dann allerdings entdeckte Thomas zwei Gesichter, bei deren Anblick er sich bemühte, jegliche Regung zurückzuhalten. Er wusste nicht, auf wessen Seite sie wirklich standen und ob er sie deshalb entweder aus vollem Herzen verachten oder nicht in Gefahr bringen durfte: sein Oheim Jakob, Lukas’ Bruder, und dessen gleichnamiger ältester Sohn, der einst als Knappe bei Lukas gedient hatte.
Das wird interessant, wenn mein Stiefvater wieder zu sich kommt, dachte er zynisch.
Scheinbar gleichgültig wandte er den Blick von den beiden Verwandten ab und folgte Dietrich, Clara und dem angeschlagenen gegnerischen Marschall hinauf auf den weißen Felsen.
Graf Dietrich wies Norbert an, Gerald in eine Kammer zu führen und zu bewachen. Doch als er das Eisen läuten lassen wollte, um sich in dem Durcheinander auf der überfüllten Burg Gehör zu verschaffen, mischte sich Clara ein.
»Eure Wunde muss wenigstens notdürftig versorgt werden«, drängte sie ihn und unterdrückte ihre Beklommenheit nach Kräften. »Es macht keinen guten Eindruck auf die Leute, wenn sie Blut auf Eurem Gesicht sehen, auch wenn es nur eine Platzwunde ist. Sie sollen Euch als Sieger betrachten, heil und unversehrt.«
»Gut. Aber es muss schnell gehen.« Es gab so viel zu regeln, zu entscheiden, zu veranlassen!
Mit Wehmut erfüllte ihn der Gedanke, dass Clara ihm gleich ganz nahe kommen und sein Gesicht berühren würde, obwohl sie für ihn nach dem erzwungenen Verlöbnis mit Jutta von Thüringen unerreichbar war.
»Im Krankenlager habe ich nicht genug Licht«, erklärte sie. »Aber ich sollte Euch wohl besser nicht hier vor aller Augen auf dem Burghof zusammenflicken.«
Also gingen sie hoch auf den Turm, wo nur noch ein paar Männer Wache hielten. Clara hatte einen der Sergenten angewiesen, ihr einen Eimer Wasser zu bringen. Dietrich streifte die Kettenhaube zurück und ließ zu, dass sie mit einem feuchten Leinentuch das verkrustete Blut aufweichte und von seinem Gesicht tupfte. Vorsichtig schob sie die aufgeplatzte Haut über seiner linken Braue zusammen, biss sich dabei auf die Unterlippe und begutachtete die Länge der Wunde. »Zwei Stiche werden genügen, aber ich muss es gleich tun«, erklärte sie zögernd.
Nun tränkte sie das Leinen mit einem Sud und bat ihn, es auf die Wunde zu drücken, während sie einen Faden in eine leicht gebogene Nadel einfädelte – eine spezielle Arbeit von Guntram, wie Dietrich argwöhnte.
Dann rief sie eine der Wachen herbei, wies den Mann an, seine Hände in den Eimer mit Wasser zu tauchen und die Wundränder über dem Auge des Fürsten zusammenzuschieben.
Dietrich hatte das deutliche Gefühl, Clara käme dabei auch ohne Unterstützung zurecht und wollte nur nicht mit ihm allein sein, noch dazu so nah.
Sie setzte doch drei statt zwei Stiche, verknotete sie und schnitt den Faden ab. Noch einmal drückte sie ein sauberes Leinentuch mit dem Sud darauf, was fürchterlich brannte, dann trat sie zwei Schritte zurück und senkte die Lider.
»So Gott will, heilt es, ohne sich zu entzünden. In ein paar Tagen können die Fäden heraus.«
Während sie redete, räumte sie Tinktur und Leinen wieder in ihren Korb und steckte die Nadel in ein beinernes Röhrchen, das sie in ihrem Almosenbeutel verstaute.
Dietrich stand auf und schickte die beiden Wachen fort.
»Ich musste mich mit Jutta von Thüringen verloben, damit der Landgraf uns seine Bewaffneten schickt«, gestand er beklommen. Er würde es zwar ohnehin gleich auf dem Burghof verkünden, aber Clara sollte es als Erste erfahren.
»Es tut mir unendlich leid. Mein Antrag an Euch kam aus
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