Der Traum der Hebamme / Roman
herrenlos gewordenen Pferde zusammen und fingen sie ein. Zwei Dutzend Schritte voraus lagen oder saßen die Verletzten nebeneinander.
Dies alles erfasste Marthe mit wenigen Blicken, und dass sie bisher weder Thomas noch Lukas gesehen hatte, beunruhigte sie. Aber das Feld war einfach noch zu unübersichtlich, das Durcheinander zu groß, um einen Einzelnen ausfindig zu machen.
Graf Dietrich und Norbert kamen den zwei Frauen entgegen. Über Dietrichs linke Gesichtshälfte sickerte Blut; Marthe wollte sofort eingreifen, aber der Graf lehnte ab. »Nur eine aufgeplatzte Augenbraue, das kann warten. Kümmert Euch zunächst um diejenigen, die auf der Stelle Hilfe brauchen, damit sie nicht verbluten!«
»Könnt Ihr ein oder zwei Karren herbeischaffen lassen, um die Verwundeten auf die Burg zu bringen?«
Dietrich nickte und wies Norbert an, das umgehend zu veranlassen.
Marthe und Clara liefen zu den Verletzten. Der Geistliche folgte ihnen, ebenso die Frauen, die unter den Verwundeten nach ihren Männern oder Söhnen Ausschau halten wollten. Einige von ihnen hatten schon gefunden, wen sie suchten, und rannten mit wehenden Röcken voraus.
In einer Reihe hinter den Verletzten waren die Toten gebettet. Drei der Frauen sanken wehklagend neben einem leblosen Körper nieder.
Clara und Marthe mussten sich zuerst einen Überblick verschaffen, wer nur leicht und wer schwer verletzt war, wer sofort Hilfe brauchte oder den Pater für die letzten Tröstungen, weil er keine Überlebenschance hatte, und wessen Wunden warten konnten, um sie oben auf der Burg zu versorgen.
Einem sich heiser schreienden Burschen mit einer heftig blutenden Wunde am Oberschenkel hatte einer seiner Gefährten bereits das Bein abgebunden. Einem anderen legte Marthe eine Aderpresse an, die den Blutfluss aufhalten musste, bis sie sich auf der Burg um ihn kümmern konnte, während Clara ein paar Wunden verband, die oben genäht werden mussten.
Einem bewusstlosen Mann um die dreißig, der leichten Rüstung nach ein Sergent, war der rechte Arm so zermalmt, dass sie ihn wohl abnehmen mussten. Einer seiner Freunde hatte ihm den Ärmel schon abgerissen, um die Wunde zu begutachten. Nun blickte er verzweifelt auf Clara, von deren Heilkunst er wusste, dann auf ihre Mutter, der nachgesagt wurde, dass sie noch erfahrener in diesen Dingen sei.
Zwei Ochsenkarren rumpelten heran und wendeten in einem großen Halbkreis unmittelbar neben den Verwundeten.
Kräftige Knechte hievten die Verletzten auf die Bretter, auf denen bis vor kurzem noch Hirse, Bier und Hafer für Albrechts Gefolgsleute und Pferde geladen gewesen sein mochten. Die leichter Verwundeten mussten zu Fuß zur Burg gehen.
Während die Kärrner die Ochsen den Weg langsam wieder hochtrieben, sahen sich Marthe und Clara erneut suchend um.
Dietrich und Norbert waren inzwischen bei den Gefangenen. Sie verschafften sich vermutlich einen Überblick, wer von Rang und Namen dabei war, den Albrecht unbedingt auslösen musste, und ob jemand von ihnen dringend heilkundige Hilfe benötigte.
Immer noch konnte Marthe weder Thomas noch Lukas entdecken. Also gehörten sie zu jenen, die die Gefangenen bewachten?
Sie streckte sich und atmete tief durch, um ihre Lungen mit der klaren, eiskalten Herbstluft zu füllen, denn Kopf und Rücken schmerzten sie immer schlimmer. Bevor sie auf die Burg hochlief und dort ganz und gar mit der Versorgung der Verletzten befasst sein würde, wollte sie noch einen Blick auf die Gefangenen werfen, falls dort jemand verbunden werden musste, und endlich herausfinden, wo Lukas und Thomas steckten.
Und dann sah sie etwas, das ihr das Herz stocken ließ: Ein Stück hinter dem Areal, wo die Gefangenen bewacht wurden, und bis eben noch verdeckt durch die Wachen, kniete Thomas auf dem schlammigen, kalten Erdreich, ihm gegenüber zwei der Thüringer, die mit ihnen aus Eisenach gekommen waren, und dazwischen ein regloser Körper.
Lukas! Sie wusste einfach, dass er es war.
Mit einem Angstschrei rannte sie los, so schnell sie konnte. Beim Anblick der blutigen Wunde auf dem Rücken ihres Mannes musste sie alle Kraft zusammennehmen, um nicht einfach in die Knie zu sacken und ihre Verzweiflung zum Himmel zu schreien. Sie war eine Heilerin, vielleicht vermochte sie ihn noch zu retten.
»Er lebt«, brachte Thomas hervor, in einer Mischung aus schlechtem Gewissen, Ratlosigkeit und Erleichterung, dass sich nun seine Mutter um Lukas kümmern würde.
Er machte sofort Platz, damit sie neben dem
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