Der Traum der Hebamme / Roman
waren weniger familiäre Bande, die Lukas bewogen, ihm Hilfe zu leisten, als der Plan, den Marschall mit Dietrichs Forderungen nach Burgwerben zu schicken, sollte Gerald angesichts seiner Verletzungen dazu in der Lage sein.
»Ich begebe mich in deinen Gewahrsam«, brachte der Bruder seiner verstorbenen Frau unter Schmerzen die übliche Kapitulationsformel heraus. Er zog seinen Dolch aus der Scheide und überreichte ihn Lukas. »Mein Schwert … habe ich beim Sturz verloren …«
Lukas rief zwei thüringische Sergenten herbei, befahl ihnen, den gegnerischen Marschall einigermaßen behutsam zu den anderen Gefangenen zu bringen, und ließ einen weiteren nach dem Schwert suchen.
Sie waren noch keine fünf Schritte gegangen, als ein Alarmsignal von der Burg auf dem weißen Felsen ertönte: drei lange, tiefe Töne hintereinander – das verabredete Zeichen, dass der meißnische Tross samt der Verstärkung anrückte.
Sofort ließ Heinrich von Eckartsberga seine Männer erneut aufsitzen, auch die Hälfte der Weißenfelser Ritter und Sergenten schlossen sich ihnen an. In dieser Überzahl würden ihnen die Neuankömmlinge keine allzu großen Probleme bereiten, zumal sie nicht damit rechneten, aus dem Marsch heraus plötzlich auf einen Gegner zu treffen und eine Schlacht schlagen zu müssen.
Auch Lukas saß wieder auf, um in Dietrichs Nähe zu bleiben. Doch da entdeckte er etwas, das ihm für einen Augenblick das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Thomas, der die ganze Zeit in seiner und Dietrichs Nähe gekämpft und wie besessen auf die Gegner eingeschlagen hatte, verließ die Gruppe und verfolgte einen einzelnen Reiter, der sich immer wieder nach ihm umdrehte und ihm etwas zurief, ihn offensichtlich verhöhnte und herausforderte. Lukas hegte nicht den geringsten Zweifel, dass dies Rutger war. Und der würde bestimmt keinen ehrlichen Zweikampf suchen – das war eine Falle!
Er vergewisserte sich rasch, dass Graf Dietrich von ausreichend zuverlässigen Kämpfern geschützt war, dann gab er seinem Fuchshengst die Sporen und galoppierte Thomas fluchend hinterher. Marthe würde ihm nie verzeihen, wenn ihrem Sohn etwas zustieß, ohne dass er etwas dagegen unternommen hatte.
Lukas lag richtig mit seiner Vermutung: Wie aus dem Nichts tauchten drei weitere Ritter auf, und plötzlich war Thomas von vier Gegnern umgeben.
Durch einen geschickten Ausfall zur Seite täuschte er sie und schlug den ersten mit einem kraftvollen Schwerthieb aus dem Sattel. Doch sein Schicksal wäre besiegelt, wenn nicht im nächsten Augenblick Lukas aufgetaucht wäre und einen weiteren Angreifer mit einem mächtigen Schwertstreich enthauptet hätte. Das allerdings bot dem dritten Meißner Gelegenheit, seine Waffe von hinten in Lukas’ Rücken zu rammen.
Von der Wucht des Stoßes außer Gefecht gesetzt, sackte Lukas auf seinem Hengst zusammen.
Jubelnd wandte sich Rutger seinem Erzfeind Thomas zu, der gerade sein Schwert mit einem wütenden Aufschrei demjenigen in den Hals bohrte, der Lukas angegriffen hatte.
Jetzt waren nur noch Thomas und Rutger übrig. Doch Elmars Ziehsohn sah, wie sich zwei weitere Reiter näherten, um Thomas beizustehen. Sofort beschloss er, dass es klüger war, die Entscheidung zu vertagen und gleichfalls sein Heil in der Flucht zu suchen. Er trieb seinem Hengst die Sporen in die Flanken, um Albrecht und seinem Ziehvater nach Burgwerben zu folgen.
»Reiß nicht aus, du Feigling!«, schrie Thomas ihm in maßlosem Zorn nach und schwang das blutverschmierte Schwert, das er von seinem Vater geerbt hatte.
Seinem dringendsten Wunsch zum Trotz verzichtete er darauf, den Feind zu verfolgen. Jetzt brauchte Lukas Hilfe, das hatte Vorrang.
Ob er überhaupt noch lebte?
Mit mulmigem Gefühl im Magen stieg Thomas aus dem Sattel und packte den Hengst seines Stiefvaters am Zügel, um ihn zum Stehen zu bringen. Lukas lag reglos vornübergebeugt, seine Arme hingen schlaff nach unten, das Schwert war ihm längst aus der Hand geglitten.
Thomas hob die wertvolle Waffe hastig auf, dann versuchte er, am Hals des Verletzten unter der Kettenhaube noch einen Puls zu finden. Inzwischen waren die beiden Reiter heran, zwei der thüringischen Kreuzfahrer, die mit Lukas aus Eisenach gekommen waren und die Thomas noch aus Akkon kannte.
»Helft mir, ihn vom Pferd zu heben«, bat er.
So behutsam es ging, hievten sie den Bewusstlosen aus dem Sattel und legten ihn bäuchlings auf den Boden. Der Kettenpanzer war aufgesprengt, der Gambeson zerschlitzt
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