Der Traum der Hebamme / Roman
tiefstem Herzen.«
»Das darf Euch nicht leidtun«, sagte sie so entschlossen, wie sie konnte. »Ohne dieses Bündnis wären wir vermutlich alle heute gestorben.«
Dann trat sie zurück und blickte ihm nach, wie er mit schnellen Schritten die Treppen des Wehrganges herunterlief, um vor den Menschen auf der Burg zu sprechen.
Statt ihm zu folgen, ging sie zur Mauer und starrte in die Weite der Landschaft, um vor allen anderen ihr Gesicht zu verbergen.
Nur einen Augenblick lang. Dann musste sie wieder zu den Verletzten.
Siegesreden
A ls Dietrich erfuhr, wie schwer Lukas verwundet worden war, bestand er sofort darauf, dass Marthe ihn in ihre Kammer bringen ließ und sich dort so lange um ihn kümmerte, bis sie ihn außer Lebensgefahr glaubte. Marthe erhob keinen Einspruch, sondern war dankbar, dass Dietrich ihr diese Entscheidung und damit auch die Verantwortung für die übrigen Verletzten abgenommen hatte.
So musste sich Clara mit ihren Helferinnen um die anderen Opfer der Schlacht kümmern.
Als Marthes Tochter die Treppe herunterkam, wurden vor dem provisorischen Krankenlager immer noch Verwundete von den Karren gehoben.
»Schafft sie nicht hinein, sondern legt sie davor; ich will das Tageslicht nutzen, so lange es geht«, wies sie die Knechte an.
Von nun an hatte sie so viel zu tun, dass sie über nichts anderes mehr nachdenken konnte als darüber, wie sie am schnellsten und besten Blutungen stillen, Wunden nähen und gebrochene Knochen schienen konnte. Auf dem eiskalten Boden kniend, mit blutverschmierten Händen und Kleidern, kämpfte sie um das Leben der Männer, ohne sonst etwas von dem wahrzunehmen, was um sie herum vorging.
Nach einiger Zeit gesellte sich Thomas zu ihr, der – von schlechtem Gewissen wegen seines Leichtsinns gequält – Dietrich um Erlaubnis gebeten hatte, seiner Schwester zur Hand zu gehen, wenn Wunden auszubrennen und Knochen zu richten waren.
So blieben Marthe, Clara und Thomas, abgesehen von den ihnen anvertrauten Verletzten, beinahe die Einzigen auf der Burg, die nichts von Dietrichs denkwürdiger Ansprache auf dem Burghof mitbekamen.
Es dauerte länger als gewöhnlich, bis Norbert in dem Tumult auf der überfüllten Burg endlich für ausreichend Ruhe gesorgt hatte, damit der Graf zu allen sprechen konnte.
Vor dem Palas in der Mitte des Hofes stieg Dietrich auf einen Stein. Links und rechts von ihm postierten sich Norbert von Weißenfels und der thüringische Marschall.
»Lang lebe unser Fürst Graf Dietrich, der endlich heimgekehrte Wallfahrer und ruhmreiche Sieger über unsere Feinde!«, rief ein älterer Mann mit zittriger Stimme und kniete vor ihm nieder. Männer wie Frauen wiederholten seinen Ruf und sanken ebenfalls auf die Knie.
Nun trat Stille ein. Jeder wollte hören, was der Graf zu verkünden hatte. Dass die Schlacht gewonnen war, hatten sie von den Burgmauern aus mitverfolgen können. Aber war mit diesem Sieg wirklich schon der Frieden gewonnen? Oder mussten sie sich auf neue Angriffe gefasst machen?
»Gott, der heilige Georg und die besten Kämpfer des Landgrafen von Thüringen haben uns gegen die Angreifer beigestanden. Mit dem heutigen Tag, mit unserem heutigen Sieg, wurde ein dauerhaftes Bündnis zwischen Weißenfels und Thüringen geschaffen«, begann Dietrich, und seine Worte weckten Hoffnung in den Menschen vor ihm. Ein Friedensschluss mit dem mächtigen Nachbarn war unbestreitbar eine gute Sache.
»Ein Bündnis, das in einigen Jahren mit einer Heirat besiegelt werden wird«, fuhr Dietrich fort. »Dann wird Jutta von Thüringen als meine Braut auf dieser Burg Einzug halten.«
»Lang lebe die schöne Braut unseres Fürsten!«, riefen einige vorwitzige Weißenfelser sofort. Zwar hatte noch keiner von ihnen je etwas von dieser Jutta gehört, geschweige denn sie gesehen, aber eine Landgrafentochter hatte einfach schön zu sein, und eine fürstliche Hochzeit war stets eine großartige Sache, bei der Gebratenes und Gesottenes freizügig ausgeteilt wurden. Ohnehin wurde es Zeit, dass ihr Herrscher, nachdem er gesund von seiner langen Pilgerreise zurückgekehrt war, eine standesgemäße Ehefrau heimführte und eine Fürstin in Weißenfels Einzug hielt.
Dietrich hob einen Arm zum Zeichen dafür, dass wieder Ruhe auf dem Burghof einkehren sollte. Wie wenig Anlass zur Freude die Heirat mit Jutta für ihn bot, ging niemanden von diesen Menschen hier an – niemanden außer Clara, und die konnte ihn nicht hören, weil sie im hinteren Teil des Hofes die
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