Der Traum der Hebamme / Roman
Randolf.
»Ja«, erwiderte Kuno mit ungewohnt ernster Miene. »Jedermann wunderte sich damals, warum sie auf ihre alten Tage noch mit diesem Siedlerzug ging und all die Ungewissheit und Mühen auf sich nahm. Sie tat es, weil sie an Christian glaubte. Ihr ganzes Leben lang hatte sie in unserem alten Dorf Herren dienen müssen, von denen einer schlimmer war als der andere. Doch Christian, so meinte sie, als sie unsere paar Habseligkeiten zusammenpackte, der könnte einmal solch ein Herrscher werden, wie sie nur in den Geschichten aus alten Tagen vorkommen: mutig, gerecht und mit Herz für die kleinen Leute.«
»Sie hat sich nicht in ihm getäuscht. Nur blieb ihr zu wenig Zeit, um das mitzuerleben. Und am Ende musste Christian sterben«, meinte Bertram bitter.
»Gott wird seiner Seele gnädig sein! Aber hier heute Graf Dietrich so reden zu hören – das hätte meine Mutter glücklich gemacht. Und auch Christian wäre stolz auf ihn. Klang das nicht wie die Verheißung auf eine glückliche Zukunft? Ich glaube, sie haben heute beide vom Himmel auf diesen Ort herabgeschaut und feiern mit uns.«
Einen Augenblick lang herrschte einiges Schweigen zwischen den drei Freibergern.
Dann jedoch konnte Guntram sich nicht zurückhalten: »Vorausgesetzt, der Markgraf hält künftig tatsächlich Frieden. Zeigt nicht Christians Schicksal, dass diese Welt kein Ort ist für gütige und gerechte Herrscher?«
Kapitulationsbedingungen
A lbrecht hatte sich in der besten Gästekammer auf Burgwerben einquartiert und wollte niemanden sehen.
Das war Elmar nur recht. Zum einen verspürte der Truchsess herzlich wenig Lust, sich dem Jähzorn des Markgrafen angesichts dieser verheerenden Niederlage auszusetzen. Sollte Albrecht ein paar Gegenstände zerschlagen, sich betrinken – aber nicht zu sehr; Elmar hatte den Kellermeister angewiesen, nur verdünnten Wein zu bringen – und darüber nachgrübeln, wen er als Schuldigen an der unerwarteten und vollständigen Niederlage hinrichten lassen konnte.
Dabei kam er ihm besser nicht unter die Augen. Zu gegebener Zeit würde er diesbezüglich schon Albrechts Aufmerksamkeit auf den Sterndeuter lenken, was nicht schwerfallen dürfte. Und dann war ja auch noch Gerald … Der Anblick, wie der Marschall unter sein stürzendes Pferd geriet, ließ nicht hoffen, dass er die Sache überlebt haben könnte. Entweder hatte er sich sofort das Genick oder das Rückgrat gebrochen, oder er erlag eher früher als später seinen Quetschungen, Knochenbrüchen und sonstigen Verletzungen. Einen Toten kümmert es nicht, wenn er als Sündenbock herhalten muss, dachte Elmar nüchtern.
Der Hauptgrund aber, weshalb es dem Truchsess sehr gelegen kam, jetzt seinem Lehnsherrn nicht Gesellschaft leisten zu müssen, war ein anderer. Er wollte als Erster den Boten abfangen, der Dietrichs Forderungen überbrachte, um sich sofort eine Strategie zurechtzulegen, von der er den Markgrafen mit klug gewählten Argumenten überzeugen musste.
Sie hatten durch das überraschende Eingreifen dieser verräterischen Thüringer, deren Beweggründe für ihn noch im Dunkeln lagen, einen vernichtenden Schlag hinnehmen müssen. Von den zweihundertfünfzig Mann, mit denen sie aufgebrochen waren, konnten sich kaum dreißig nach Burgwerben retten; die heute erwartete Verstärkung und den Tross hatten sie wohl ganz verloren.
Doch mit Sicherheit waren nicht alle anderen Männer tot. Dietrich hatte jede Menge Gefangene gemacht und würde nun Bedingungen stellen: Silber und wer weiß, was er sonst noch forderte. Vermutlich einen Eid, künftig auf Angriffe zu verzichten. Dagegen half vielleicht ein klug ersonnener Winkelzug, eine zweideutige Formulierung. Über Geldforderungen ließ sich verhandeln, außerdem konnten sie immer noch zusätzliche Abgaben von den Freiberger Bergleuten eintreiben. Doch Albrecht kam nicht umhin, die vermutlich hohe Zahl der Gefangenen auszulösen, sonst würde er seine Pflichten als Lehnsherr auf gröbste Weise missachten. Immerhin waren diese Männer für ihn und unter seinem Oberkommando auf diesen Feldzug geritten.
Abgesehen davon konnte der Markgraf nicht den Verlust so vieler Ritter verschmerzen. Dank des Freiberger Silbers war die Mark Meißen zwar ein reicher Landstrich, aber im Vergleich zu anderen immer noch schwach besiedelt. Und sie dermaßen von bewährten Kämpfern zu entblößen, würde manch neidischen Rivalen auf den Plan rufen, der glaubte, sich die lockenden Silberbergwerke im Handstreich holen zu
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