Der Traum der Hebamme / Roman
können.
Über all diese Dinge grübelte Elmar nach, ungeachtet der herbstlichen Kälte auf der obersten Ebene des Bergfrieds hockend und Ausschau haltend, wann endlich der Bote aus Weißenfels eintraf.
Unten in der Halle saß sein Ziehsohn und achtete derweil in seinem Auftrag darauf, dass sich die Meißner und Freiberger weder betranken noch rachsüchtigen Prahlereien hingaben, sondern sich stärkten und wach und einsatzbereit blieben – für alle Fälle.
Endlich! Ein einzelner Reiter näherte sich der Burg. Am Pferd konnte Elmar nicht erkennen, wer es war. Aufs äußerste angespannt, stieg er die schmalen Stufen im Inneren des Turmes hinab.
Er kam genau in dem Moment unten an, als der Reiter das Burgtor passierte. Nun erkannte er ihn und konnte sein Staunen kaum verbergen: Es war Gerald, wenn auch verwundet, wie er an den vorsichtigen Bewegungen sehen konnte und an dem Umstand, dass er sich aus dem Sattel helfen lassen musste.
Doppelt erleichtert lief Elmar ihm quer über den Burghof entgegen – weil der Totgeglaubte noch am Leben war und weil er nun einen beträchtlichen Teil von Albrechts Zorn auf sich ziehen würde.
»Ich hätte nicht geglaubt, dich noch lebend zu sehen, mein Freund«, begrüßte er ihn und packte ihn an den Oberarmen – eine unüberlegte Geste, denn Gerald verzog schmerzvoll das Gesicht und stöhnte. Sofort ließ Elmar ihn los, musterte nur die bleichen Züge und die verbundene Hand des Marschalls.
»Wer ist noch übrig von unseren Leuten?«, fragte er, während sie beide Richtung Palas gingen. Genauer gesagt, Elmar ging und Gerald humpelte.
»Lebt dein Sohn noch?«, antwortete der Marschall mit einer Gegenfrage. »Ich habe ihn nicht unter den Gefangenen gesehen. Und auch nicht unter den Toten.«
»Er ist hier, sei unbesorgt.«
»Der Herr sei gepriesen!« Gerald atmete auf. »Dietrich will fünf Dutzend unserer Ritter und noch etwa zwei Dutzend Sergenten gegen Lösegeld austauschen. Und Giselbert.«
»Giselbert?«, fragte Elmar völlig verblüfft. Er hätte nicht gedacht, dass der feiste Freund die Schlacht überleben würde. Vermutlich hatte er sich nach Leibeskräften bemüht, in den hintersten Reihen zu bleiben.
»Ja, er lebt und ist unverletzt. Während Dietrich mich gleich von den anderen trennte und in einer Kammer bewachen ließ, wo ich nichts mehr von dem mitbekam, was seit meiner Gefangennahme geschah, blieb Giselbert bei den übrigen Gefangenen. Ich denke, er wird uns bei seiner Rückkehr einiges zu erzählen haben.«
»Gut!«, meinte Elmar erfreut. Die Nachricht vom Überleben des Mundschenken trieb ihn einen Moment lang zu düsteren Erinnerungen. Seit seiner Knappenzeit waren sie vier Freunde gewesen, allesamt Sprösslinge aus vornehmsten Familien: Randolf, Ekkehart, Giselbert und er. Randolf war von Christian im Zweikampf getötet worden, Ekkehart von Lukas. Beinahe wäre nur noch er von dem alten Quartett übrig geblieben. Während von den Erzfeinden aus ihrer Jugendzeit – Christian, Raimund, Richard und Gero – bloß noch Raimund lebte. Und dieser vermaledeite Lukas, der Christians Nachfolge angetreten hatte. Im neunten Kreis der Hölle soll er schmoren!
Gerald schien seine Gedanken erraten zu haben. Denn als Elmar ungeduldig fragte, welches nun Dietrichs Bedingungen für die Freilassung der Geiseln sei, berichtete ihm der Marschall stattdessen zuerst eine Neuigkeit, die den Truchsess zu einem Triumphschrei veranlasste.
Auf dem Weg zum Palas wurde Geralds Humpeln immer stärker. In einem Teil der Halle saßen diejenigen ihrer Männer, die sich vom Schlachtfeld hatten retten können. Einige waren inzwischen von dem Wundarzt behandelt worden, den der askanische Burgverwalter hergeordert hatte, und trugen Verbände. Die anderen schienen mit Essen und Trinken bestens versorgt. Sie erhoben sich, als sie den Truchsess und ihren Marschall kommen sahen. Jedem von ihnen stand die Frage ins Gesicht geschrieben, was wohl als Nächstes passieren würde.
Doch Elmar nahm auf ihre Neugier keine Rücksicht.
Er scheuchte ein paar der Männer mit einer unwirschen Geste davon, damit er und Gerald unbelauscht miteinander reden konnten. Auf seinen Wink hin wurden ihnen ein Krug Wein und gebratenes Huhn gebracht.
Jetzt erst merkte er, wie hungrig er war. Gierig riss er eine Keule ab.
Ihnen beiden war bewusst, dass sich Gerald eigentlich sofort beim Markgrafen melden müsste. Aber auch der Marschall hielt es für klüger, zuvor mit Elmar zu beraten, wie vorzugehen
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