Der Traum der Hebamme / Roman
Pferdes.
Rasch ging sie dem Geblendeten, dem einstigen Boten des Kaisers, entgegen.
»Gott schütze Euch, Bernhard!«, begrüßte sie ihn. »Benötigt Ihr Hilfe?«
Bernhard stieg aus dem Sattel und wandte ihr das Gesicht zu. »Ich erkenne Eure Stimme. Clara von Reinhardsberg, nicht wahr? Wie geht es Euch und Euren Kindern?«
»Gut«, versicherte sie, erstaunt darüber, wie der Blinde seine Fähigkeiten geschärft hatte und dass er überhaupt auf Reisen ging. Er musste ein wahres Kämpferherz haben.
Der hagere Mann, in dessen Gesicht sich die Falten noch tiefer eingekerbt hatten, seit sie ihn in Thüringen kennengelernt und seine Wunden versorgt hatte, lächelte ihr zu.
»Ihr sagt das sehr überzeugend, und dennoch höre ich Trauer heraus, Clara von Reinhardsberg. Habt Ihr noch keinen Mann gefunden, der Euch schützt und Euer Herz mit Freude erfüllt?«
»Ich
bin
beschützt«, antwortete sie verhalten. Ihre Trauer ging niemanden etwas an. Am liebsten wäre sie mit den Kindern fort von hier gezogen. Doch wohin sollte sie gehen?
»Nehmt meinen Arm, ich führe Euch zum Palas. Wollt Ihr zu Graf Dietrich?«, fragte sie den Ministerialen. »Eilt es? Oder soll ich erst nach Euren Wunden sehen?«
»Es ist dank Euch alles gut verheilt – soweit so etwas heilen kann«, sagte er mit kaum verhohlener Bitterkeit. »Und ja, ich muss dringend mit Graf Dietrich reden. Allein.«
»Dann werdet Ihr Euch etwas gedulden müssen. Soweit ich weiß, spricht der Graf gerade mit seinem Vetter, dem Markgrafen der Ostmark, der kurz vor Euch angekommen ist.«
Ein grimmiges Lächeln zog über Bernhards Gesicht. »Das trifft sich gut. Und es ist sicher kein Zufall. Dann will ich umgehend mit beiden sprechen.«
Konrad hatte beim Betreten des Raumes sofort alle Diener und Vertrauten des Grafen hinausgescheucht.
»Sophia ist tot, und mit ihr das Kind!«, platzte er heraus, kaum dass er mit Dietrich allein war. »Vergiftet, genau wie dein Bruder. Es war wohl ihr Leibarzt, denn der ist seitdem unauffindbar. Aber das spielt keine Rolle. Jetzt steht eindeutig fest, wer der Auftraggeber war, denn nun ist der Weg frei für ihn …«
»Dir ist klar, dass wir das nicht laut aussprechen dürfen, sonst wäre es Hochverrat«, unterbrach Dietrich ihn, der genau wusste, wen sein Vetter da beschuldigte. Und diese Anschuldigung ergab durchaus Sinn.
Wütend hieb Konrad mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Ich könnte mich zu Tode ärgern, dass ich nicht mehr Vorsorge getroffen habe! Ich hätte sie mit mir nehmen sollen und sie nicht aus den Augen lassen, statt darauf zu hören, als sie meinte, sie sei zu krank, um weiterzureisen. Mir schien es wichtig, dass sie nach Meißen zurückkehrt …«
Erneut hieb er mit der Hand auf den Tisch, nun zweimal hintereinander.
»Du hättest es vermutlich auch nicht verhindern können«, versuchte Dietrich, ihn zu beruhigen, obwohl er den rastlosen Zorn des Vetters teilte. »Die Frage ist: Was unternehmen wir jetzt? Soll ich zum Kaiser reisen und ihn um die Belehnung mit der Mark Meißen bitten, dem Land meines Vaters und meines Großvaters? Er wird sie mir nicht geben. Diese Demütigung vor allen Fürsten des Reiches … Soll ich wirklich Heinrich gegen meine Überzeugung die Treue schwören und ihn dann auch noch um etwas bitten, das er mir verweigern wird?«
Konrad stieß einen knurrigen Laut aus, bevor er antwortete.
»Ich denke wie du: Er wird ablehnen. Uns würde auch der Beistand der Fürsten nichts nützen, die damals mit ihrem Protest deinem Schwiegervater doch noch zu Thüringen verholfen haben. Seit der Eroberung Siziliens ist der Kaiser so viel stärker. Noch nie seit der Abdankung unseres Großvaters war unser Haus dermaßen in Bedrängnis.«
Ratlos hob Konrad die Hände. Aber bevor er etwas sagen konnte, klopfte es.
Die beiden Wettiner sahen sich beunruhigt an. Wenn jetzt jemand zu stören wagte, dann gab es ganz sicher einen dringenden Anlass. Doch was konnte noch wichtiger sein?
Beim Anblick des Geblendeten, der von einem Begleiter hereingeführt wurde, der sich gleich darauf wieder zurückzog, überkam Dietrich ein ungutes Gefühl.
»Seid Ihr etwa immer noch in Diensten des Kaisers unterwegs, Bernhard?«, fragte er ebenso erstaunt wie beeindruckt … und voller schlimmer Vorahnungen.
»Ich bin blind, aber ich habe beschlossen, nicht das Leben eines Krüppels zu führen«, erklärte der Ministeriale, wobei er auffällig vermied zu erklären, ob er im Auftrag des Kaisers handelte
Weitere Kostenlose Bücher