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Der Traum der Hebamme / Roman

Der Traum der Hebamme / Roman

Titel: Der Traum der Hebamme / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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bedenken, dass dieser das nicht sehen konnte.
    Dietrich hingegen verzog keine Miene. Er bedankte sich bei Bernhard in aller Form für diesen Rat und rief einen Diener, um den Blinden hinauszugeleiten und gut zu beköstigen.
    »Wir werden es tun müssen!«, rief Konrad aus und rang nach Luft. »Wir verlieren nicht nur Meißen und die reichen Freiberger Silberbergwerke, sondern du auch noch Weißenfels, wenn wir nicht stillschweigend zusehen, wie der Kaiser sich das Land unserer Väter einverleibt. Und dann sollen wir auch noch auf diesen Kreuzzug gehen und für ein oder gar zwei Jahre unsere Herrschaftsgebiete verlassen!«
    Dietrich verlor kein Wort dazu. Stattdessen erklärte er, sein Vetter müsse sich jetzt dringend Marthes Heilkünsten unterziehen.
    Erst als er allein war, ließ er seine Wut über die Hoffnungslosigkeit und Bitternis seiner Lage heraus. Er griff nach seinem Schwert und hieb mit aller Kraft auf den Tisch ein. Krug und Becher zersprangen in tausend Teile. Eine tiefe Kerbe im Holz würde fortan davon künden, wie machtlos der Sohn eines Markgrafen und Enkel zweier der mächtigsten Fürsten des Kaiserreiches nun geworden war. Dass er auf verlorenem Posten stand.

Frühjahr 1197 vor der Küste von Akkon
    E in Konvoi von achtundzwanzig Schiffen näherte sich dem Hafen von Akkon. Die See meinte es gut mit ihnen an diesem Vormittag; die Wellen türmten sich nicht so hoch, dass die Pilger unter Deck um ihr Leben zitterten mussten. In der Osterwoche waren bei einem schrecklichen Sturm zwei Schiffe mit Mann und Maus gesunken, und die Übrigen überstanden das Unwetter nur mit Mühe und Not. Doch jetzt herrschte lediglich schwacher Seegang. Die Sonne gleißte am wolkenlosen Himmel, Seevögel kreisten über der Flotte und schrien durchdringend.
    Die Kunde vom nahenden Ziel hatte an Bord der vordersten Galeere schon am Morgen helle Aufregung ausgelöst. Die Reisenden – statt friedlichen Wallfahrern oder Kaufleuten fast durchweg im Kampf ausgebildete Männer, die das Leben auf schwankenden Planken nicht gewohnt waren – drängten sich auf dem Deck, starrten auf die mächtigen Mauern, die Akkon von Seeseite her schützten, und sanken nieder, um Gott für diesen Anblick zu danken. Dafür, dass sie die Wochen in qualvoller Enge überstanden hatten, weder ertrunken noch von Piraten überfallen worden oder an einer Seuche gestorben waren. Auch nicht im Streit erschlagen, der unausweichlich blieb, wenn so viele Männer dermaßen eingepfercht leben mussten, bei fauligem Wasser, von Maden wimmelndem zweifach gebackenem Brot, Ungeziefer aller Art und dem Gestank der Tiere, die als Proviant für die besser zahlenden Gäste mitgeführt wurden.
    Diejenigen, die tags zuvor noch gerauft und einander angefeindet hatten, fielen sich nun in die Arme und jubelten vor Freude, ihr Ziel endlich zu sehen: Akkon, die Hauptstadt des Königreichs Jerusalems.
    Genauer gesagt, die Hauptstadt dessen, was vom Königreich Jerusalem noch übrig war: ein schmaler Küstenstreifen von kaum neunzig Meilen, der nirgendwo weiter als zehn Meilen ins Landesinnere reichte.
    Lediglich zwei Männer – ein Graf Mitte oder Ende dreißig und ein Ritter Ende zwanzig, beide sonnenverbrannt und sehnig, mit ernsten, düsteren Mienen – schienen unberührt von dem lärmenden Treiben an Deck. Schweigend standen sie nebeneinander an der Reling und blickten über die Wogen hinweg den Mauern Akkons entgegen.
    Doch anders als bei ihrer Ankunft in Weißenfels flogen diesmal Thomas’ Gedanken voraus zu dem, was ihn erwartete, wenn er ins Heilige Land zurückkehrte, während Dietrichs in der Vergangenheit gefangen waren.
    Thomas fragte sich, ob er wohl Jerusalem sehen und Frieden für seine Seele erlangen konnte. Durfte er an dem Ort beten, wo Gottes Sohn gestorben war? Darum, dass seine Schwester ihren Kummer überwand und seine Mutter ihr Leid vergaß? Für sein eigenes Seelenheil und das seines Vaters?
    Oder würde er hier neben dem Grab seines besten Freundes sein eigenes finden?
    Seine Mutter und auch Clara hatten es beim Abschied vor ihm verbergen wollen, doch sie schienen beide davon überzeugt zu sein, dass er nicht wiederkam. Er zwang sich, den Gedanken an ihre Trauer abzuschütteln, sah auf die aus sandfarbenem Stein gebaute Stadt und die Palmen und meinte schon, das lärmende Sprachengewirr und die fremdartigen Klänge der Musik zu hören. Für ihn fühlte es sich an, als würde er heimkehren – und nicht, als würde er in ein fremdes Land

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