Der Traum der Hebamme / Roman
kommen, um zu sterben.
Er konnte es kaum erwarten, den betörenden Duft der morgenländischen Gewürze einzuatmen statt des Gestanks der Männer um sich herum, die sich seit Wochen nicht waschen konnten. Kühles Quellwasser zu trinken statt der fauligen, mit Essig versetzten Jauche. Frisches, duftendes Brot und die verlockenden exotischen Früchte zu essen statt harten Backwerks voller Maden.
Und die Frauen mit ihrem anmutigen Gang und ihren dunklen, ausdrucksstarken Augen! Wieder tauchte ein zartes Gesicht mit klugem Blick in seiner Erinnerung auf, und er wusste immer noch nicht, ob das damals in Antiochia nur ein Traum gewesen war.
Doch falls es dieses Mädchen wirklich gab und sie noch lebte, war sie vermutlich längst verheiratet und Mutter einer großen Kinderschar. Er würde es nie herausfinden, denn sein Weg führte nicht nach Antiochia, sondern nach Jerusalem – so Gott wollte.
Dietrich von Weißenfels hingegen war in ganz andere Gedanken versunken. Ihn konnten weder die tosende Gischt noch die gebrüllten Kommandos angesichts der nahenden Küste, das Fluchen und die Hoffnungsschreie der Männer davon abhalten, sich in Erinnerungen an zu Hause zu verlieren. Vielleicht ein letztes Mal, denn bald würde dafür keine Zeit mehr sein, und nur Gott allein wusste, ob ihm eine glückliche Heimkehr vergönnt war.
Gemeinsam mit seinem Cousin Konrad, der mit seinem Gefolge ebenfalls an Bord dieses hoffnungslos überfüllten Schiffs war, hatte er wie gefordert auf dem Hoftag in Worms das Kreuz genommen. Es war ihnen keine Wahl geblieben.
Auch der Landgraf von Thüringen folgte wie viele andere weltliche und geistliche Fürsten dem Ruf des Kaisers zum Kreuzzug. Hermann wollte allerdings nicht schon mit der Vorhut aufbrechen wie sein Schwiegersohn und war vermutlich noch unterwegs nach Messina, um sich dort Richtung Akkon einzuschiffen.
Als Dietrich vor acht Jahren mit Kaiser Friedrich von Staufen ins Heilige Land gezogen war, hatten ihn mehrere Dutzend Ritter und eine entsprechende Anzahl Knappen und Reisiger begleitet. Im Gegensatz dazu führte er diesmal nur einen einzigen Ritter mit sich: Thomas. Der wusste, worauf er sich einließ, und er hatte schon einen Kreuzzug überlebt. Unter den Knechten und Sergenten wählte Dietrich diejenigen aus, die keine Familie hinterließen, und von den Knappen gestattete er zu aller Erstaunen keinem Einzigen mitzukommen.
Es kümmerte ihn nicht, sollte er dafür als unbedeutend angesehen werden. Sein Cousin Konrad reiste mit genügend Männern und würde ihm Knappen und Knechte stellen.
Dietrich begründete das spärliche Geleit offiziell damit, die Jahre des Krieges gegen seinen Bruder hätten ihn so viele gute Männer gekostet, dass er keinen weiteren in Weißenfels entbehren konnte, sollten Ort und Burg während seiner Abwesenheit gut geschützt sein. Außerdem verlangten die Pisaner und Genuesen für die Überfahrt eine so ungeheure Summe pro Mann und Pferd, dass nicht wenige Kreuzzugsteilnehmer dafür Besitz verkaufen und Ländereien verpfänden mussten. Noch dazu war das Jahr 1196 allerorten ein Hungerjahr gewesen, Getreide knapp und beinahe unerschwinglich.
Doch in Wahrheit wollte Dietrich nicht noch einmal so viele Männer in den Tod führen, so viele schlimme Nachrichten an Hinterbliebene überbringen müssen.
Zwar schienen die Umstände bei diesem Kriegszug für sie günstiger als vor acht Jahren: Nun gehörten dem Kaiser die sizilianischen Seehäfen und eine Flotte, so dass ihnen der mühselige, zeitraubende und verlustreiche Weg über den Balkan und durch das Seldschukenreich erspart blieb. Und Saladin, der mächtige, gefürchtete und geachtete Feind, der die Stämme Ägyptens und Syriens unter seiner Führung geeint hatte, war tot, seine zahllosen Söhne, Brüder und Neffen lagen im Streit miteinander.
Doch auch Friedrich von Staufen hatte seinen Kreuzzug mit Sorgfalt und Bedacht vorbereitet und durfte auf Erfolg hoffen, als er aufbrach. Dass die Unternehmung die meisten Männer das Leben kostete, den Kaiser eingeschlossen, und keiner der Beteiligten Jerusalem zu sehen bekommen würde, hätte bei der stolzen Heerschau in Pressburg niemand gedacht.
Während die Sonne sengte und salzige Gischt ihm ins Gesicht sprühte, ließ Dietrich seine Gedanken zu jenem verschneiten Wintertag zurückfliegen, an dem er sich auf dem Landding in Schkölen offiziell von seinen Gefolgsleuten und seiner Familie verabschiedet hatte, um ins Heilige Land aufzubrechen.
Am
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