Der Traum der Hebamme / Roman
fünften Tag im Januar war das gewesen. Frost herrschte damals und ein sanfter Wind, der ihnen große Flocken entgegentrieb; die Sonne blieb hinter dichten Wolken verborgen, und der Schnee knirschte unter den Schritten.
Hedwig war gekommen, seine Mutter, hatte ihm Gottes Segen gewünscht und dem Kloster bei Nossen ein Dorf aus ihrem väterlichen Erbe geschenkt, damit die Mönche für das Seelenheil und die glückliche Heimkehr ihres Sohnes beteten. Auch wenn die Mark Meißen nun Reichslehen des Kaisers war, bestand Hedwig darauf, durch solche Schenkungen zu zeigen, dass sie und ihr Sohn keineswegs auf das Patronatsrecht für das von Otto gestiftete Zisterzienserkloster zu verzichten gedachten.
Jutta hatte sich redlich bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten, als sie sich von ihrem Mann verabschiedete, und fiel ihm dann doch vor allen Anwesenden schluchzend um den Hals.
Sie hatten die Ehe inzwischen vollzogen, auch auf Drängen Landgraf Hermanns, der darauf bestand, dass niemand die Rechtmäßigkeit dieser Verbindung in Frage stellen konnte, sollte sein Schwiegersohn im Heiligen Land fallen. In der ihm eigenen Direktheit hatte Hermann darauf hingewiesen, dass Jutta infolge der neuesten Entwicklung im Reich die Erbin Thüringens sei, sollte er selbst nicht aus dem Heiligen Land zurückkehren.
Der Kaiser hatte den Fürsten die Erblichkeit ihrer Lehen angeboten, wenn sie dafür seinen Sohn Friedrich zum König wählten. Der Plan ging nicht so auf, wie Heinrich es wollte, insbesondere in Sachsen und Thüringen gab es Widerstand. Dennoch hatte der berechnende Hermann es geschafft, seine Tochter als Erbin der Landgrafschaft einzusetzen, sollte ihm nicht noch ein Sohn geboren werden.
Jutta war Dietrich eine zärtliche Gemahlin, und es war geschehen, was er hatte vermeiden wollen und sich lange nicht eingestand: Sie hatte sich zutiefst in ihn verliebt.
Sie besaß nicht Claras Leidenschaft und Fraulichkeit. Aber mit ihrer Zartheit berührte sie sein Herz. Das bescherte ihm ein schlechtes Gewissen gegenüber Clara; genau genommen gegenüber beiden Frauen, weil es ihm vorkam, als würde er sie beide betrügen, wenn er nun mit Jutta das Lager teilte.
Da hatten unverhofft Marthe und Lukas eingegriffen.
Es sei Clara nicht länger zuzumuten, in seiner und Juttas Nähe zu bleiben, argumentierten sie. Sonst würde sie sich nie dazu entschließen können, einen anderen Mann zu heiraten und neues Glück zu finden. Alle Bemühungen von Lukas, sie für einen nächsten Ehemann zu erwärmen, seien deshalb vergeblich gewesen. Die Leute würden sich schon die Mäuler darüber zerreißen, dass sie jeden Antrag ablehnte.
Nach dieser unangenehmen Eröffnung hatten ihn die beiden mit einem Vorschlag verblüfft. Sie wollten nach seiner Abreise mit Clara zurück nach Freiberg gehen. Da Albrecht und Rutger tot waren, sei das möglich. Clara könnte dort in Reinhards Haus ziehen, das ihr zustand, und Lukas hielt es für dringend angebracht, dem Burgvogt auf die Finger zu klopfen, damit er die Freiberger nach dem schrecklichen Hungerjahr nicht zu sehr schindete. Bernhard, der geblendete Ministeriale, würde dafür sorgen, dass Lukas wieder das Kommando über die Burgwache bekam und Clara als ehrbare Witwe unbehelligt leben konnte.
Dietrich war völlig überrascht von dieser Idee gewesen und nicht sofort bereit, seine Zustimmung dafür zu geben. Es zerriss ihm das Herz, Clara gehen zu lassen, auch wenn er wusste, dass er sie nicht halten durfte.
Doch dann sagte Lukas bedeutungsschwer: »Wäre es nicht weise, Euch einen Vertrauten und schnellen Zugriff auf die Freiberger Burg zu sichern? Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem Ihr das Land im Handstreich erobern könnt, so wie einst Euer Großvater?«
An dieser Stelle hatte Dietrich scharf Luft eingezogen. Jedes weitere Wort, jede Frage wäre Hochverrat gewesen. Gegen den Kaiser konnte er nicht kämpfen, und da Heinrich nicht mit ins Heilige Land ziehen würde, war nicht davon auszugehen, dass er bald starb; er zählte kaum mehr als dreißig Jahre. Andererseits hatte ihn erst unlängst wieder ein Anfall von dem Sumpffieber ans Krankenlager gefesselt, das er sich vor Jahren bei der Belagerung Neapels zugezogen hatte.
Der Blick, den Marthe und Lukas dabei austauschten, ließ Dietrich spüren, dass dieser Vorschlag nicht nur von Lukas’ Schläue und militärischer Voraussicht, sondern auch von Marthes unbestimmten Ahnungen geprägt war. Aber er zwang sich, seine geheimsten Hoffnungen zu
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