Der Traum der Hebamme / Roman
den Hufen der Pferde zermalmt. Sofort hing ein intensiver, verlockender Duft über der hässlichen Szenerie. Aufgebracht stritten die Händler mit den bewaffneten Männern in einer Sprache, die diese nicht verstanden oder verstehen wollten, denn die Forderung nach Ersatz für den Schaden war auch ohne Sprachkenntnisse unmissverständlich.
Von vorn wurde verschärftes Kommando durchgegeben, jegliche Plünderung oder sonstige Streitigkeit mit den Einheimischen zu unterlassen.
»Ist hier nicht angeblich das Land, wo Milch und Honig fließen?«, murrte ein hochgewachsener Mann mehrere Reihen vor Thomas lautstark, der mit beiden Händen Früchte gerafft hatte und sie nun wieder hergeben musste. »Sollten sie uns nicht wie Helden empfangen, weil wir Jerusalem zurückerobern wollen?«
Das fängt ja gut an, dachte Thomas beklommen, der sich noch genau an die vielen Streitigkeiten unter den Christen selbst während des vorangegangenen Kreuzzuges erinnerte. Diese hatten letztlich zu den größten Verlusten geführt.
Vor dem königlichen Palast stellten sich die Neuankömmlinge auf. Diener teilten kühles Wasser als Erfrischung aus. Manche von ihnen rümpften ganz offen die Nase über den Gestank, der den Fremden anhaftete. Ein Vertrauter des Erzbischofs von Mainz übersetzte die Worte des Quartiermeisters, die erneute Unruhe aufbrachten. Offensichtlich war es nicht möglich, in der Stadt so viele Unterkünfte bereitzustellen, wie für die Neuen benötigt wurden.
»Dann machen wir selbst Quartier!«, wurde an mehreren Stellen gerufen. Schon stürmten ein paar Männer los; bereit, sich in der Stadt mit Waffengewalt Zutritt zu den Häusern zu verschaffen.
»Haltet sie zurück! Lasst uns allesamt vor der Stadt lagern, sonst gibt es böses Blut!«, rief Dietrich dem Markgrafen der Ostmark und Heinrich von Schwarzburg zu, die links und rechts von ihm standen und zwei der größten Kontingente anführten. Beide reagierten sofort.
»Zurück, ihr Pack!«, brüllte Konrad dröhnend.
Der Schwarzburger trat ein paar Schritte vor und rief mit befehlsgewohnter Stimme: »Alle sofort zurück! Wir schlagen das Lager vor der Stadt auf!«
Dann schickte er ein paar seiner Ritter los, um diejenigen, die schon vom Hof gestürmt waren, aufzuhalten, bevor sie größeres Unheil anrichteten.
Er und der Erzbischof von Mainz verständigten sich mit dem Quartiermeister, dann befahl der Thüringer den Abmarsch.
Thomas erkannte sofort, wohin sie zogen: zu einem Hügel östlich von Akkon, der nach drei Seiten steil abfiel und an einem Fluss lag. Genau dort hatten sie vor sieben Jahren gelagert, als sie monatelang vergeblich versuchten, die Stadt einzunehmen.
Doch diesmal waren die Umstände günstiger: Es war warm, der Boden fest und nicht schlammig, sie würden Proviant haben – und die Stadt war ihnen nicht feindlich gesinnt. Sofern es nicht zu neuerlichen Zwischenfällen kam.
Als Zeltlager und Koppeln errichtet waren, er sich gewaschen, umgekleidet und den Bart abgenommen hatte, bat Thomas den Grafen von Weißenfels um Erlaubnis, in die Stadt gehen zu dürfen. Er wollte in der Kirche des deutschen Hospitals ein Gebet für Rolands Seelenheil sprechen.
»Ich begleite Euch«, entschied Dietrich. »Ich will das Grab des Herzogs von Schwaben aufsuchen.«
Friedrich von Schwaben, einer der Söhne Kaiser Friedrichs von Staufen, hatte nach dem Tod seines Vaters in Kilikien die Führung über den deutschen Heerzug übernommen, bis er dreiundzwanzigjährig hier vor Akkon einer Seuche erlag.
Doch bevor die beiden Männer zu ihren Pferden gehen und aufsitzen konnten, trat ein Mann in golddurchwirkten Seidengewändern auf sie zu.
»Theodericus de Misna?«, erkundigte er sich auf Latein, Dietrich von Meißen?
Dietrich bejahte, auch wenn er schon lange nicht mehr so bezeichnet wurde und ihm die Anrede einen Stich versetzte. Dietrich, Markgraf von Meißen – so sollte er genannt werden. Doch der Kaiser verwehrte ihm Land und Titel.
»Der Herr von Jerusalem erwartet Euch zu einer Audienz, gemeinsam mit dem Erzbischof von Mainz und dem Markgrafen der Ostmark. Folgt mir!«
Thomas wurde angewiesen, Dietrich zu begleiten, so wie der Schwarzburger den Erzbischof begleiten würde.
Missmutig sah Thomas an sich herab. Er hatte sich zwar im Fluss gewaschen, sein Haar mit einem feinen Kamm von Ungeziefer befreit und saubere Kleider angezogen, dennoch fühlte er sich nach dem Schmutz der letzten Wochen und angesichts des kostbaren Gewandes des Boten nicht
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