Der Traum der Hebamme / Roman
angemessen gekleidet für einen Besuch beim König – schon gar nicht hier, wo selbst die Kleider der Hofbediensteten feiner waren als die Leinenbliauts der deutschen Ritter.
Er fragte sich auch, weshalb Dietrich mit den beiden Fürsten gerufen wurde, die im Rang weit über ihm standen. Doch der Grund dafür würde sich wohl bald zeigen.
In ihren besten Kleidern und auf ihren besten Pferden folgten die Eingeladenen dem Boten in die Stadt.
Jetzt wimmelte es in den Gassen Akkons von Menschen.
Thomas nahm den Anblick in sich auf und versuchte, etwas von dem Sprachengewirr zu verstehen. Wenn sie länger hierblieben, sollte er vielleicht ein wenig diese Sprachen lernen. Er war es jetzt schon leid, sich mit den Menschen nicht verständigen zu können, über deren Gepflogenheiten er mehr erfahren wollte. Das Morgenland galt als der Ort, wo sich die Weisheit vieler Völker zu neuer Blüte vereinte. Wie sehr es ihn allein interessierte, etwas über die Heilkunde zu erfahren, über die hiesigen Heilpflanzen und Behandlungsmethoden! Schon, um seiner Mutter davon zu erzählen.
Ganz anders als in deutschen Hospitälern war es in Antiochia zugegangen, wo er von schwerer Krankheit und Verletzung geheilt worden war. Ohne das Können der dortigen Ärzte wäre er gestorben oder hätte zumindest einen Arm eingebüßt.
Selbst wenn hier nicht Milch und Honig flossen – auf dem Weg vom Lager in die Stadt hatte er wildwachsenden Salbei und Fenchel gesehen! War das nicht noch besser?
Und da, unter diesem Torbogen, verkaufte ein Mann mit einem schwarzen Bart getrocknete Kräuter, Pulver und Tinkturen.
Ein paar Schritte weiter atmete er begierig den Duft der Gewürze ein, die in leuchtendem Rot und Safrangelb säckeweise auf den Karren der Händler standen, sah begehrlich auf die Damaszenerklingen, die ein Waffenschmied anbot, hielt Ausschau nach Templern und Johannitern, die in großer Zahl in den engen, gewundenen Gassen unterwegs waren, denn nun hatten beide Ritterorden ihre Hauptquartiere in Akkon, und wunderte sich einmal mehr über die grazilen Pferde, die von den Einheimischen als Reittiere verwendet wurden. Überall wurde lautstark gefeilscht, gepriesen, gesungen, gebetet.
Und da waren sie auch, die zierlichen Frauen mit ihren fließenden Gewändern, dem anmutigen Gang und den faszinierenden Augen!
Doch dann riss er seine Blicke davon los und richtete seine Gedanken auf den Empfang beim König von Jerusalem, der jetzt nur noch Herrscher von Akkon und eines schmalen Küstenstreifens war.
Sein Vorgänger Guido von Lusignan hatte das Königreich in den Untergang gestürzt, als er vor zehn Jahren gegen den Rat landeskundiger Barone beinahe die gesamte christliche Streitmacht in die vernichtende Schlacht von Hattin führte. Das Heer wurde fast völlig aufgerieben, ebenso die beiden Ritterorden, die Templer und die Johanniter. In den Wochen darauf eroberte Saladin Jerusalem und fast sämtliche anderen Städte, die bis dahin noch in christlicher Hand waren. Nur Konrad von Montferrat konnte gegen ihn die Hafenstadt Tyros behaupten. Doch Guido und Konrad waren verfeindet; dem Rivalen zum Trotz befahl Lusignan die militärisch aussichtslose Belagerung Akkons, die anderthalb Jahre dauerte und viele tausend Menschenleben kostete. Erst die Ankunft des englischen und des französischen Königs mit ihren Streitmächten führte zur Einnahme der Stadt.
Die über Guidos Unfähigkeit aufgebrachten Barone Outremers zwangen Lusignan, auf die Krone von Jerusalem zu verzichten, und fanden ihn mit Zypern ab, wo er ihrer Ansicht nach weniger Schaden anrichten konnte. Dort war er vor ein paar Jahren gestorben. Sein Bruder Amalrich war nun Herrscher von Zypern und hatte ebenso wie Fürst Leo von Armenien den deutschen Kaiser gebeten, ihn zu krönen und zum Lehnsmann zu nehmen.
Nach Guidos Vertreibung wurde Konrad von Montferrat zum König von Jerusalem gewählt, ein Verwandter der Staufer, aber schon wenige Tage später von Assassinen erstochen. Das Gerücht, der geltungssüchtige und stauferfeindliche Richard Löwenherz habe den Mord in Auftrag gegeben, hielt sich immer noch, auch wenn es nicht besonders glaubwürdig war.
Thomas hatte sie alle drei vor Akkon erlebt: den unfähigen Guido, der Männer in sinnlose Angriffe trieb und opferte, den militärisch erfahrenen und energischen Konrad von Montferrat, der sogar eine Seeschlacht gegen Saladin gewonnen hatte, und den jetzigen König Heinrich von Champagne. Dieser war Anführer des
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