Der Traum der Hebamme / Roman
umschlang ihn und flüsterte: »Dann warte nicht länger!«
Auf Abwegen
A ls Thomas und Eschiva das deutsche Hospital wieder erreichten, suchten sie sofort nach Bruder Notker. Denn wenn Godwin – sofern er überhaupt noch lebte – die Vormundschaft über seine Frau übertragen sollte, brauchten sie einen Zeugen und Eideshelfer.
Notker bestand allerdings darauf, Heinrich Walpot von der ganzen Angelegenheit zu unterrichten und die Entscheidung in dessen Hände zu legen.
Mit immer strenger werdender Miene ließ sich der Vorsteher der Hospitalgemeinschaft von dem Zwischenfall und Eschivas Notlage berichten. Er musterte Thomas mit hartem Blick und erklärte: »Ihr könnt unmöglich die Verantwortung über diese Frau übernehmen. Als Wallfahrer habt Ihr Euch von den Weibern fernzuhalten. Außerdem werdet Ihr in die Schlacht ziehen, sobald das Hauptheer eintrifft. Wer soll dann für sie sorgen?«
Seine Worte klangen so endgültig, dass Thomas wusste, Widerspruch war zwecklos und würde alles nur noch schlimmer machen.
Also schwieg er vorerst und wartete ab, ob Walpot entschied, Eschiva zu helfen.
»
Ich
werde die Vormundschaft über sie übernehmen, sofern Godwin damit einverstanden ist«, erklärte dieser. »Sie darf hierbleiben und bei der Pflege der Kranken helfen. Wir sind es Godwin schuldig, uns ihrer anzunehmen.«
Eschiva sank dankbar vor ihm auf den Boden, doch Thomas hatte Mühe, seine Unzufriedenheit zu verbergen. Sollten diese missratenen Stiefsöhne das Haus an sich reißen? Oder würde Walpot es für die Spitalgemeinschaft beanspruchen?
Wenigstens war Eschiva hier in Sicherheit. Aber Heinrichs Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er alles unternehmen würde, um seinen möglicherweise künftigen Ordensritter nicht in die Nähe dieser Frau zu lassen. Und auch keiner anderen Frau.
»Begebt Euch jetzt wieder in das Heerlager!«, befahl er.
Vergeblich hoffte Thomas auf eine Möglichkeit, wenigstens noch ein Wort mit Eschiva zu wechseln.
Sie, Notker und Walpot gingen gemeinsam zum Krankensaal, und ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Grauschimmel zu holen und zurückzureiten.
Gleich nach seiner Ankunft im Lager berichtete Thomas Dietrich von dem Zwischenfall. Er war ungewöhnlich lange fort gewesen, und zweifellos würde der Graf sowieso von der Angelegenheit erfahren. Eine bewaffnete Auseinandersetzung mit Einheimischen war zu schwerwiegend, um sie zu verschweigen.
Nur den Kuss und Eschivas aus tiefster Not heraus geborenes Flehen, ihr die Jungfräulichkeit zu nehmen, ließ er auch hier aus.
Dietrich hörte ohne jede Regung in seinem Gesicht an, was sein Ritter zu gestehen hatte.
»Das deckt sich mit dem, was mir Heinrich Walpot durch einen Boten ausrichten ließ«, erklärte er. »Immerhin seid Ihr aufrichtig.«
Thomas, der nach wie vor kniete, wäre vor Entrüstung beinahe aufgesprungen. Hielt Dietrich ihn etwa für einen Lügner? Zumindest schien Walpot das zu tun, wenn er eigens und in aller Eile einen Boten hierhergeschickt hatte. Wie konnte der überhaupt so schnell hier gewesen sein? Es hatte ihn nach Passieren des Tores kein Reiter überholt.
»Ihr werdet Euch ab sofort der Ausbildung der ostmärkischen Knappen widmen. Und zwar ausschließlich«, wies Dietrich an.
Das hieß: keine Besuche mehr im Hospital. Er würde Eschiva nicht mehr sehen, nicht einmal erfahren, wie es ihr ging. Und sie schon gar nicht heiraten können.
Noch nie hatte Thomas solchen Zorn gegen Dietrich in sich verspürt.
Am liebsten hätte er ihn angeschrien: Du hast gut reden, du hast dir ja genommen, was du wolltest! Meine Schwester hast du dir ins Bett geholt und sie entehrt, ihr zwei Bastarde angehängt und sie unglücklich gemacht! Und du stellst dich hin und willst über mich richten?
Er wusste selbst nicht, was ihn davon abhielt, das herauszuschreien – ganz bestimmt nicht Feigheit oder Rücksichtnahme auf seine Lage. Wenn er bisher noch nicht wegen des Zwischenfalls im Venezianerviertel aus dem Heer verstoßen war, dann würde das mit Sicherheit geschehen, sobald er jetzt nur ein einziges Wort sagte.
Aber Zorn, Kummer und Hoffnungslosigkeit schnürten ihm einfach die Kehle zu, und Tränen der Wut stiegen in ihm auf.
Er verneigte sich demonstrativ knapp, stand mit eckigen Bewegungen auf und ging hinaus, um sich bei dem vermaledeiten Lehrmeister der vermaledeiten Knappen Konrads von Eilenburg zu melden.
Auch wenn die Tage verstrichen, wollte sich Thomas’ Groll gegen alle und jeden
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