Der Traum der Hebamme / Roman
nicht legen. Seine Gedanken kreisten um Eschiva und darum, wie er sie wiedersehen konnte. Beim Schwertkampfunterricht für die ostmärkischen Knappen ertappte er sich immer wieder dabei, unaufmerksam zu sein. Dann ermahnte er sich, dass er mit diesen Lektionen Leben retten konnte, und scheuchte die schweißüberströmten Burschen noch härter unter der sengenden Sonne.
Anfang September landeten weitere Kämpfer in großer Zahl an Akkons Küste. Doch sie hatten ihre Zelte kaum im Lager aufgebaut, als eine Katastrophe auf die andere folgte.
Mehrere der neu eingetroffenen Kontingente waren sofort und ohne Absprache mit dem Herrscher Jerusalems gegen Gebiete al-Adils gezogen und gerieten dort in heftige Bedrängnis durch den Gegner. Heinrich von Champagne schickte ihnen auf Ratschlag Hugos von Tiberias eigene und italienische Ritter zu Hilfe, rief zusammen, was er an Kämpfern entbehren konnte, und bat sogar Amalrich von Zypern um Beistand, obwohl beide Herrscher nicht auf gutem Fuß miteinander standen.
Dass der Herrscher von Jerusalem darauf verzichtete, die deutschen Kontingente zum Einsatz zu bringen, die im Lager nur darauf warteten, endlich kämpfen zu können, war der deutlichste Beweis für das tiefe Misstrauen der Barone im Heiligen Land gegenüber den Neuankömmlingen.
Während das Gerücht die Runde machte, dass al-Adil seine Truppen Richtung Jaffa schickte und die Stadt nicht zu halten sei, ereignete sich in Akkon ein schrecklicher Unglücksfall. Heinrich von Champagne stürzte durch eigene Unachtsamkeit aus dem Fenster, als er während einer Heerschau eine Delegation der Pisaner empfangen wollte.
Die Nachricht vom Tod des jungen Königs sorgte auch im deutschen Feldlager für Entsetzen und Ratlosigkeit. Wer sollte seine Nachfolge antreten? Wer die Truppen in den Kampf führen und die zerstrittenen Christen im Heiligen Land einen?
Mehrere angesehene Männer schlugen Ralph von Tiberias vor, den jüngeren Bruder Hugos und Seneschall des Königs. Doch vor allem die Großmeister der beiden Ritterorden sprachen sich gegen ihn aus, weil er nicht vermögend genug und nur ein nachgeborener Sohn sei.
Da unterbreitete der Erzbischof von Mainz einen anderen Vorschlag: Amalrich von Lusignan, den Herrscher Zyperns. Weil Konrad von Mainz der mächtigste Kirchenfürst der weströmischen Kirche, der Vertraute des römischen Kaisers
und
ein Freund des Papstes war, fiel sein Vorschlag auf fruchtbaren Boden.
Thomas war fassungslos, als er davon erfuhr. Der Name Lusignan war für ihn untrennbar verbunden mit der militärischen Unfähigkeit und Sturheit, mit der Guido als König von Jerusalem die christlichen Streitmächte des Heiligen Landes in die vernichtende Niederlage von Hattin geführt hatte. Durch seine Schuld gingen Jerusalem und fast alle anderen Städte an Saladin verloren. Dass Akkon zurückerobert wurde, war mit hohem Blutzoll erkauft und am wenigsten Guidos Verdienst.
»Amalrich soll ein weitaus klügerer Mann als sein Bruder sein«, meinte Hermann von Salza, als Thomas diese Nachricht mit ihm und den anderen Thüringern diskutierte, die vor Jahren bei der Belagerung Akkons dabei waren. »Und vergesst nicht: Er hat erst vor ein paar Tagen die Krone aus den Händen unseres Kanzlers entgegengenommen und ist damit streng genommen ein Vasall des Kaisers. Man bedenke die Möglichkeiten!« Vielsagend zog von Salza die Augenbrauen hoch.
Unterdessen erreichte eine Flotte von vierundvierzig Schiffen mit dem letzten großen Teil des Heeres Akkon.
Wie vom verunglückten Heinrich von Champagne vorhergesagt, lehnten es die deutschen Fürsten ab, sich unter den militärischen Oberbefehl des Marschalls von Kalden zu begeben, der nur ein Ministerialer war. Sie wählten den inzwischen eingetroffenen Herzog Heinrich von Brabant zu ihrem Anführer, unter dessen Kommando sich auch die einheimischen Streitkräfte stellten.
Marschall Heinrich von Kalden und der Kanzler Konrad von Querfurt behielten nur den Befehl über jene sechstausend Mann, die der Kaiser in Sold genommen hatte.
Kaum war Jaffa kampflos in die Hände al-Adils gefallen, beschloss der Kriegsrat, das Heer in Bewegung zu setzen. Und zwar nicht nach Jerusalem, sondern in die entgegengesetzte Richtung.
»Wieso nach Norden? Wieso nicht nach Jerusalem?«
Thomas war vollkommen aufgebracht, als der Landgraf von Thüringen nach dem Morgengottesdienst bekanntgab, dass sie am nächsten Tag abmarschieren würden – zunächst zu einer Heerschau nach Tyros, dann
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