Der Traum der Hebamme / Roman
Ich darf hier wohnen und arbeiten. Der Vorsteher wies mir eine kleine Kammer zu, nur für mich. Er ist natürlich nicht übermäßig froh darüber, eine Frau beherbergen zu müssen, aber in Godwins Haus kann ich nicht allein zurück, das weiß auch er. Also wird er mich bald wieder verheiraten oder wollen, dass ich die Gelübde ablege.«
Thomas hatte den Bottich genommen, der für die zierliche Eschiva viel zu groß war, und trug ihn zum Brunnen.
»Er wird dich verheiraten? Mit wem?«, fragte er aufgebracht und ließ das schwere Gefäß mitten in der Luft verharren.
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete sie achselzuckend. »Mit irgendeinem Gönner der Spitalgemeinschaft. Oder mit einem reichen Mann, der Godwins Haus dann dem Spital schenkt. Doch warum sollte mich ein reicher Mann haben wollen?«
Als Thomas nichts darauf erwiderte, sondern stillschweigend Wasser in das Gefäß laufen ließ, redete Eschiva einfach weiter, mit vorwurfsvoller Stimme.
»Wer fragt uns schon? Niemand! Nicht einmal Isabella, die Erbin des Königreiches, darf mitreden, wenn es um ihre Vermählung geht. Sie wird einfach wie ein Gegenstand von einem zum anderen weitergereicht, der über ihr königliches Blut seinen eigenen Anspruch auf die Krone stützen will. Erst musste sie sich gegen ihren Willen von ihrem ersten Gemahl scheiden lassen, Humfried von Turon, und den grimmigen Konrad von Montferrat heiraten. Nach Konrads Tod gab man sie umgehend Heinrich von Champagne zur Frau, ohne Rücksicht darauf, dass sie hochschwanger war. Und jetzt schert es niemanden, dass sie um ihren toten König und Ehemann trauert, sondern man wird sie schon in ein paar Tagen mit diesem Amalrich vermählen und zu ihm ins Bett legen.«
Das war für Thomas neu – ebenso wie der Gedanke, Eschiva könnte verheiratet sein, wenn er zurückkam. Doch er würde es nicht verhindern können. Als Wallfahrer durfte er nicht heiraten. Und wahrscheinlich kam er nicht aus diesem Krieg zurück. Deshalb stellte er den gefüllten Bottich neben ihr ab und wiederholte hilflos: »Ich wollte mich von dir verabschieden. Vorher durfte ich nicht kommen.«
Eschiva tauchte ihre schmalen Hände in das Wasser und schüttelte die Tropfen ab, griff nach seiner Hand und führte ihn in eine winzige Kammer unter dem Dach, ihre Bleibe. Natürlich, bei den Männern konnte sie nicht schlafen. Und ganz sicher würde Heinrich Walpot darauf achten, dass sie hier auch allein blieb. Aber er und die Brüder der Hospitalgemeinschaft waren jetzt in der Kirche versammelt, um für das Wohl derer zu beten, die morgen in den Kampf ziehen würden, eingeschlossen die fünf Brüder, die das Heer begleiten sollten.
Die Kammer war so niedrig, dass er kaum darin stehen konnte, ohne den Kopf einzuziehen, und hatte nur eine winzige Fensteröffnung.
Die gesamte Einrichtung bestand aus einer hölzernen Pritsche mit einem schmalen Kleiderbündel am Fußende und einem Schemel, auf dem ein tönernes Öllicht, ein Krug und eine Waschschüssel standen. Auf der Pritsche lag das Fell, das Thomas Eschiva geschenkt hatte.
Sie schloss die Tür hinter ihm und streckte ihm mit zärtlichem Blick die Arme entgegen. Auch ohne ein Wort war klar, was sie von ihm erwartete.
»Eschiva, ich werde aus diesem Krieg nicht wiederkommen, das weiß ich«, erklärte er ihr. »Ich will dir nicht noch mehr Kummer bereiten. Und was, wenn ich dich schwängere? Dann wird man dich davonjagen!«
»Ich werde sagen, das Kind sei von Godwin«, erklärte sie lächelnd. »Und woher willst du wissen, dass du stirbst? Hat das deine heilkundige Mutter vorausgesehen?«
Sie griff nach seinen Händen und umklammerte sie. »Sie kann sich irren! Das Schicksal kann sich ändern, wenn man es nur will! Und wenn du sterben sollst …« Eschiva sah ihn voller Mitleid an. »Dann muss dich eben eine schöne Erinnerung wieder ins Leben rufen.«
Jedes andere Mädchen hätte er zurückgestoßen und ihr gesagt, dass sie keine Ahnung vom Krieg hatte: von den Strömen von Blut, dem Schlachtgebrüll, den Schreien der Sterbenden und den Bergen von Leichen, auf denen in der sengenden Sonne Aasgeier hockten und verwesendes Fleisch von den Knochen rissen.
Doch Eschiva kannte den Krieg, wenngleich aus anderer Perspektive als er. Sie war dabei gewesen, als Jerusalem fiel, und hatte das Leid der Besiegten erleben müssen.
Weil sie nicht nachließ und so verlockend vor ihm stand, weil er wochenlang davon geträumt hatte, sie zu berühren, zu küssen, ihre Brüste zu
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