Der Traum der Hebamme / Roman
vortragen wie Ludmillus.
Der schlanke Spielmann mit der rot-grünen Kleidung in Mi-Parti zupfte ein wenig an den Saiten seiner Laute, um die Gäste noch neugieriger zu machen, dann rief er mit seiner wohlklingenden Stimme: »Hochverehrtes Publikum! Edle Damen, tapfere Herren, und vor allen: glückliches Brautpaar!«
Er verneigte sich tief und übertrieben schwungvoll. »Nun hört also die erbauliche Geschichte, die sich dereinst tatsächlich zugetragen hat und die uns lehrt, dass mit etwas Witz und Tatkraft am Ende doch das Gute über das Böse siegt.«
Er zwinkerte den Gästen zu: »Auch wenn man manchmal etwas nachhelfen muss!«
Schon begann er zu singen und zu spielen. Die Leute hingen an seinen Lippen und prusteten los, wenn er die Stimme verstellte, um die einzelnen Figuren darzustellen, bis er die Geschichte äußerst deftig enden ließ. Das Publikum hielt sich die Bäuche vor Lachen und verlangte nach mehr.
Ludmillus hob die Hand. Sofort trat Ruhe ein.
»Da dies eine Hochzeit ist, soll nun ein Liebeslied erklingen! Auf meiner Wanderschaft lernte ich bei Hofe in Wien einen jungen Spielmann kennen, von dem wir – nehmt mich beim Wort – noch viel hören werden. Sein Name ist Walther, er zählt noch keine zwanzig Jahre, und dies ist eines seiner Lieder. Es heißt
Unter der Linden,
und welches Lied könnte wohl besser zu dieser Hochzeit passen, da wir hier direkt unter einer Linde sitzen?«
Dafür erntete er ein paar verwunderte Blicke, denn der einzige Baum auf dem Gehöft war ein Walnussbaum. Ludmillus verdrehte die Augen und mahnte: »Seid nicht so engstirnig! Habt mehr Phantasie, ihr Leute!«
Das brachte ihm erneutes Gelächter ein. Doch schon ein paar Töne weiter folgten die Gäste mit verträumten Gesichtern dem wunderbaren Lied jenes Walthers von einem Paar, das unter einer Linde beim Gesang der Nachtigall in Liebe zueinanderfand.
Als das Lied zu Ende war, herrschte einen Moment andächtiger Stille, dann jubelten sie und forderten lautstark einen Kuss des Brautpaares.
Jäh musste Clara an ihre erste Hochzeit denken. Die hatte auf dem Burghof unter Albrechts gehässigem Blick stattgefunden, und Reinhard durfte vor dem Markgrafen nicht zu erkennen geben, dass er sie liebte. Also hatte er ihr damals nach solchen Rufen nur einen flüchtigen Kuss auf die Wange gehaucht.
Boris von Zbor beabsichtigte nicht, sich mit einem flüchtigen Kuss zu begnügen. Er beugte sich ein wenig zu Clara herab und zog sie näher an sich.
Etwas sperrte sich in ihr, sie musste den Impuls unterdrücken, weglaufen zu wollen. Doch dann gab sie sich einfach dem Gefühl hin, seine Lippen und seine starken Hände zu spüren.
Als er sich von ihr löste und die Gäste begeistert johlten, schoss Clara verlegene Röte ins Gesicht. Am liebsten hätte sie sich versteckt.
Ihr zuliebe zog Ludmillus rasch wieder die Aufmerksamkeit auf sich, indem er ein weiteres Scherzlied ankündigte.
Erschöpft und froh lehnte sich Marthe mit halbgeschlossenen Lidern zurück, genoss den Moment und das offensichtliche Glück ihrer Tochter und verlor sich in Erinnerungen.
Als sie mit Christian und den ersten Siedlern vor dreißig Jahren hierhergekommen war, hatten sie ihre bescheidenen Feste auf der Wiese am Bach unterhalb von Christians Haus gefeiert.
Das erste Fest war ihre eigene Hochzeit mit einem alten Witwer gewesen. Der Dorfälteste hatte sie dazu gezwungen, weil ein so junges Mädchen nicht ohne Aufsicht bleiben durfte, und nachdem Randolf und seine Kumpane über sie hergefallen waren, blieb ihr kein anderer Ausweg. Es war eine düstere Zeit gewesen, in der sie nur die kindliche Zuneigung der damals noch kleinen Johanna und ihrer Schwester am Leben hielt.
Zwei Jahre später feierte sie dort ihre Vermählung mit Christian, nachdem dieser in einem blutigen Kampf auf Leben und Tod das Dorf von seinem Erzfeind Randolf zurückerobert hatte. Sie hatten am Bach Karls Hochzeit mit Agnes gefeiert, der Tochter eines Obersteigers, die schon vor Jahren gestorben war, und dabei warb Kuno zum ersten Mal um Johanna, die er später heiratete.
Doch diesen Platz voller Erinnerungen gab es nicht mehr. Ganz in der Nähe war Silbererz gefunden worden, nun zog sich eine Grube dort entlang, und die Dorflinde, unter der Christian einst Gericht gehalten hatte, war den Äxten zum Opfer gefallen.
Aus dem Dorf ist eine Stadt geworden, in weniger als einem Menschenleben, sann Marthe nach. Aus den Knechten, die auf den Siedlerzug gingen, wurden erst Bauern
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