Der Traum der Hebamme / Roman
Marthe umklammert hielt.
Jetzt richtete sie sich etwas auf und zog sich den Umhang über die Schultern, fröstelnd trotz der Sommerhitze und um das Unterkleid zu bedecken, obwohl sie jede Bewegung schmerzte.
»Als Markgraf von Meißen entscheide ich: Behaltet die Schlüssel«, entgegnete Dietrich mit einem Lächeln. »Hiermit ernenne ich Euch zum Burgvogt von Freiberg. Euer Freund Raimund erhält seine Güter im Muldental zurück. Aber ich erwarte, dass Ihr Euern Dienst erst wieder antretet, wenn Ihr genesen seid. Beide«, fügte er an.
Alle Förmlichkeiten missachtend, lehnte er sich an den Pfosten des Bettes und betrachtete die vertrauten Gesichter von Lukas und Marthe, die verwundet, geschunden und aufgewühlt dort saßen.
»Es war ein langer Weg«, sagte er dann, und jeder im Raum wusste, er meinte damit nicht die Strecke von Weißenfels nach Freiberg.
Mehr als dreißig Jahre hatten sie nun gemeinsam zurückgelegt: Als er Kind war, hatte Marthe ihn geheilt, als er Knappe war, hatten Christian und Lukas ihn zum Ritter ausgebildet. Sie waren gemeinsam in den Krieg gegen Heinrich den Löwen gezogen, hatten die schlimmen Zeiten nach Christians Ermordung durchstehen müssen, die Angriffe Albrechts und seine blutige Herrschaft. War jetzt alles vorbei?
Marthe schien seine Gedanken zu erraten.
Ihr stand wieder der Tag vor Augen, als sie gemeinsam mit den anderen Siedlern nach langem, entbehrungsreichem Marsch an dem Ort ankamen, an dem sie sich ein besseres Leben aufbauen wollten – an diesem Ort. Deshalb waren sie Christian in die Fremde gefolgt, hatten sie die Ungewissheit auf sich genommen und alles gewagt.
Und nun? Würde nun Christians Traum, ihrer aller Traum von einer gerechteren Welt wahr werden?
Niemand konnte wissen, ob sich Philipp oder Otto als König durchsetzen würde, ob friedliche Zeiten für die Mark Meißen anbrachen, ob Dietrich Jutta lieben lernen würde, Christian zum Ratsherrn und Jonas zum Bürgermeister gewählt wurde. Alles war noch ungewiss. Aber wenn es je eine Hoffnung auf bessere Zeiten gegeben hatte, für die sie so lange gekämpft hatten, für die Christian gestorben war, dann jetzt.
Deshalb sah Marthe erst zu Lukas, dann zu Dietrich und sagte mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte: »Nein, jetzt fängt alles erst an.«
Nachwort
Z ehn Jahre verbrachte ich mit Marthe, ihren Freunden und ihren Feinden. Nun heißt es Abschied nehmen.
Die Geschichte ist zu Ende erzählt. Dabei hätte ich nie gedacht, dass sie einmal fast dreieinhalbtausend Seiten in Anspruch nehmen würde, als ich begann, sie niederzuschreiben.
Für alle, denen das immer noch nicht reicht, sei hier aufgeführt, was aus den historischen Persönlichkeiten wurde.
Albrecht von Wettin ging als »Albrecht der Stolze« in die Geschichte ein, was eine sehr schmeichelhafte Umschreibung seines maßlosen Charakters ist, sein Bruder als »Dietrich der Bedrängte«.
Dietrich brachte als Markgraf tatsächlich die Mark Meißen zum Blühen. Nach dem Tod seines Vetters Konrad im Jahr 1210 erwarb er noch die Ostmark dazu und führte Stück für Stück den wettinischen Besitz wieder zusammen, den sein Großvater Konrad der Große unter seinen fünf Söhnen verteilt hatte. Er gilt als besonderer Förderer der Städte, und in seine Regentschaft fällt auch die Stadtwerdung Dresdens, das 1206 erstmals urkundlich erwähnt und 1216 bereits als Stadt bezeichnet wird. Nur mit den Leipzigern geriet er am Ende seines Lebens in erbitterten Streit, weil sie nach seinem Empfinden zu viele städtische Freiheiten forderten. Aber das ist eine Geschichte für sich.
Über Hedwig, die einstige Markgräfin, gibt es keinerlei Nachricht für die Zeit nach Ottos Tod, abgesehen von den Stiftungen für das Kloster Altzella und ihrem Erscheinen beim Landding in Schkölen, als sie ihren Sohn vor dessen Aufbruch ins Heilige Land verabschiedete. Es ist nicht einmal belegt, wo sie ihren Witwensitz nahm – Seußlitz wäre durchaus möglich, ist aber nur eine Vermutung meinerseits. Die Quellen geben keinerlei Anhaltspunkt, und als Romanautor muss man irgendwann eine Entscheidung treffen. Hedwig starb 1203 und wurde in Altzella an der Seite ihres Mannes beigesetzt.
Landgraf Hermann von Thüringen wechselte während der Doppelherrschaft Philipps von Schwaben und Ottos von Braunschweig sieben Mal die Seiten.
Aber auch Dietrich war 1208, kurz vor der Ermordung König Philipps, beinahe bereit, zu den Welfen überzutreten. Anlass dafür gab das
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