Der Traum des Highlanders
erinnern, wann er ihr zum ersten Mal begegnet war. An seinem achten Geburtstag war er oben auf dem Berg gewesen und hatte sich die Augen aus dem Kopf geheult. In der Schule hatte es einen Zwischenfall gegeben, irgendeine lächerliche Kleinigkeit, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, die ihm jedoch schmerzlich vor Augen geführt hatte, dass er ohne Mutter war. Deshalb war er auf den Berg gelaufen, hatte weinend auf einem Baumstamm gesessen und sich sehnlich eine Mama gewünscht.
Stattdessen hatte ihm die Vorsehung eine Schneeeule geschickt. Der wunderschöne, geheimnisvolle Vogel hatte seine Ankunft mit einem schrillen Pfeifton angekündigt, war direkt neben ihm gelandet, hatte die Flügel gefaltet und ihn reglos aus seinen großen, goldenen Augen angestarrt.
Robbie, der zu jener Zeit sehr fantasiebegabt war, hatte das Tier nach seiner Mutter benannt, die er niemals hatte kennen lernen dürfen, und als achtjähriger Junge hatte er es einfach als gegeben hingenommen, dass er, als er sie leise ansprach, eine Antwort von ihr bekam. Auch wenn es sicher seltsam war, wusste er seither immer, was der Vogel dachte, was er von ihm wollte oder brauchte, und dass er sich auf ihn verlassen konnte, was auch immer geschah.
Im Verlauf der letzten zweiundzwanzig Jahre hatte Mary ihn des Öfteren vor todbringenden Unfällen bewahrt. Zum ersten Mal, als er mit acht am Weihnachtsabend, die vier Monate alte Rose Dolan in den Armen, während eines Schneesturms heimgelaufen war. Die Eule hatte ihn in ein wärmendes, blaues Licht gehüllt, dadurch seine Lebensenergien freigesetzt, um Rose am Leben zu erhalten, und hatte seinen Vater und Libby zu der Schneewehe geführt, neben der er vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Als er elf gewesen war, hatte Mary einen gereizten Braunbären vertrieben, mit dem er auf einer Wanderung zusammengestoßen war. Und als er mit sechzehn Auto fahren durfte, war sie vor seinen Truck gefogen, und er hatte kaum zehn Zentimeter vor einem ausgewaschenen Abwasserkanal gebremst.
Mary war immer für ihn da gewesen, sowohl bei Oma Ellens als auch bei John Bigelows Tod, wenn er aus einem Albtraum aufgefahren war, und auch, als er als Soldat in Übersee war.
Wenn sie also darauf bestand, dass er sein Schwert mitnahm, hatte er keinen Grund, es nicht zu tun.
Oder vielleicht doch. Er brauchte Zeit, um sich auf die von Daar für ihn geplante Reise vorzubereiten – Zeit und vor allem deutlich mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Druiden, als er bisher besaß. Er wusste nur zu gut, dass sich die Magie gegen einen wenden konnte, denn im Verlauf der Jahre hatte Daar sein Unvermögen oft genug unter Beweis gestellt. Verdammt, mit einem falschen Wort könnte er ihn überall hinschicken oder in eine völlig andere Zeit.
Wenn er ihn nicht versehentlich in einen Mistkäfer verwandelte, weil ihm bei der Zauberei wieder mal ein Fehler unterlief.
Robbie sah auf seine Uhr und blickte in den Himmel. Bis zum Sonnenuntergang hatte er höchstens noch sechs Stunden Zeit. Er starrte auf den riesengroßen Wald. Sechs Stunden, um Catherine Daniels zu finden und in Sicherheit zu bringen.
Bevor er auf den Gipfel reiten und seiner Bestimmung folgen würde – wenn es nicht zu einer Katastrophe kam.
Wo zum Teufel blieb MacBain? Es war weniger als eine Stunde bis zum Frühlingsäquinoktikum, und er musste dem Jungen noch Anweisungen geben, bevor er ihn auf die Reise schickte.
Mit gesenktem Haupt und hinter dem Rücken gefalteten Händen lief Daar zwischen einem Felsen und einer verkrüppelten Kiefer auf und ab und murmelte ein ums andere Mal den alten Zauberspruch. Doch es fiel ihm schwer, sich auf den Text zu konzentrieren, weil er vor Sorge fast verging.
Von all den Fehlern, die ihm während der vergangenen achthundert Jahre unterlaufen waren, bräche ihm dieser vielleicht das Genick. Was hatte er sich nur dabei gedacht, als er vor fünfunddreißig Jahren einen derart blöden Zauber ausgesprochen hatte? Die Highlander in ihre alte Zeit zurückkehren zu lassen, käme einem Selbstmord gleich. Sämtliche MacBain’-schen und MacKeage’schen Nachkommen – einschließlich oder vielleicht sogar besonders Robbie – würden ihm den Rücken zukehren, wenn sie zur Sommersonnenwende ihre geliebten Männer, Väter, Onkel oder Großväter verlören.
Jetzt hing alles von Robbie ab, obwohl sich Daar Gedanken machte, ob ein derart junger Krieger der geeignete Empfänger eines so heiklen Auftrags war. Nicht, dass er dächte, dass
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