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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Audienz war auf eine halbe Stunde angesetzt, dauerte jedoch dreimal so lange, da Präsident Taft seinem Bericht über die Situation der Indios in Putumayo mit großer Aufmerksamkeit zuhörte, ihn anschließend eingehend befragte und ihn um seine Meinung darüber bat, wie die peruanische Regierung am wirksamsten dazu gebracht werden könne, den Verbrechen in den Kautschukstationen ein Ende zu bereiten. Rogers Vorschlag, die Vereinigten Staaten sollten in Iquitos ein Konsulat einrichten, um dort gemeinsam mit dem britischen Konsulat die Missstände anzuprangern, wurde von dem Präsidenten begrüßt. Tatsächlich entsandten die Vereinigten Staaten einige Wochen später den Diplomaten Stuart J. Fuller als Konsul nach Iquitos.
    Doch mehr als alle Worte überzeugten Roger die Überraschungund Empörung, mit der Präsident Taft und dessen Mitarbeiter seinen Schilderungen folgten, dass die Vereinigten Staaten entschlossen waren, Großbritannien in dem Unterfangen beizustehen, die Situation der Indios im Amazonasgebiet zu verbessern.
    Zurück in London, machte er sich trotz seiner Erschöpfung und den altbekannten Beschwerden mit ganzer Kraft daran, seinen neuen Bericht für das Foreign Office fertigzustellen, in dem er darlegte, dass die peruanischen Behörden nicht die versprochenen Reformen durchgeführt hätten und die Peruvian Amazon Company alle Initiativen boykottiert, Richter Valcárcel das Leben unmöglich gemacht und in der Präfektur den Bericht von Rómulo Paredes blockiert hätten, der außerdem beinahe umgebracht worden wäre, weil er ganz unparteiisch beschrieben habe, was er während seines viermonatigen Aufenthalts in Aranas Kautschukstationen beobachtet habe. Roger übersetzte eine Reihe von Zeugenaussagen, Interviews und anderen Dokumenten, die der Herausgeber von El Oriente ihm in Iquitos übergeben hatte, ins Englische. Dieses Material stellte eine große Bereicherung für seinen Bericht dar.
    Das war seine abendliche Beschäftigung, tagsüber ließen ihm die zahlreichen Termine im Foreign Office zum Arbeiten keine Zeit, wo sowohl Außenminister als auch die unterschiedlichsten Kommissionen ihn um Stellungnahmen zu möglichen Initiativen baten, die von der britischen Regierung erwogen wurden. Die unmenschlichen Praktiken eines britischen Unternehmens im Amazonasgebiet war Gegenstand einer gewaltigen Kampagne geworden. Ursprünglich initiiert von der Gesellschaft zur Abschaffung der Sklaverei und der Zeitschrift Truth , hatten sich ihr inzwischen die gesamte liberale Presse und etliche religiöse Vereinigungen und Menschenrechtsorganisationen angeschlossen.
    Roger bestand darauf, dass sein neuer Bericht über Putumayo unverzüglich veröffentlicht werden müsse. Er hatte alle Hoffnung verloren, dass die stille Diplomatie, die Großbritannien gegenüber Präsident Leguía verfochten hatte, irgendeineWirkung erzielen könnte. Trotz des Widerstandes einiger Regierungskreise stimmte Sir Edward Grey dieser Anregung schließlich zu, und das Kabinett genehmigte die Veröffentlichung. Blue Book , das Blaue Buch , sollte der Bericht heißen. Mehrere Nächte lang ging Roger, während er stark rauchte und zahllose Tassen Kaffee trank, Wort für Wort die letzte Textfassung durch.
    An dem Tag, an dem der Bericht in die Druckerei geschickt wurde, fühlte er sich so elend, dass er Angst bekam, allein könnte ihm etwas zustoßen, und Zuflucht bei seiner Freundin Alice Stopford Green suchte. »Du bist ja nur noch Haut und Knochen«, sagte sie zur Begrüßung und führte ihn in ihren Salon. Roger fürchtete, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen. Er hatte starke Rückenschmerzen, so dass Alice ihm mehrere Kissen unterschieben musste, ehe er sich auf dem Sofa richtig ausstrecken konnte. Im Bruchteil einer Sekunde schlief er ein oder verlor tatsächlich das Bewusstsein. Als er die Augen wieder aufschlug, saßen seine Schwester Nina und Alice vor ihm und lächelten ihm zu.
    »Wir dachten schon, du würdest nie mehr aufwachen«, hörte er eine von beiden sagen.
    Er hatte beinahe vierundzwanzig Stunden geschlafen. Alice hatte ihren Hausarzt kommen lassen, der einen extremen Erschöpfungszustand diagnostizierte. Man solle ihn schlafen lassen. Roger erinnerte sich nicht, geträumt zu haben. Er wollte aufstehen, doch seine Beine gaben unter ihm nach, und er sank erneut aufs Sofa. ›Der Kongo hat mich nicht umgebracht, aber der Amazonas wird mich umbringen‹, dachte er.
    Nach einem leichten Imbiss konnte er aufstehen und sich in

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