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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Roger, musste die Unabhängigkeitsbewegung die Unterstützung Deutschlands suchen. Die Feinde unserer Feinde sind unsere Freunde, und England hatte keinen größeren Rivalen als Deutschland. Im Falle eines Krieges würde Großbritanniens militärische Niederlage eine einzigartige Gelegenheit für Irland bedeuten, seine Unabhängigkeit zu erlangen. Oft kam Roger das alte nationalistische Motto in den Sinn: »Englands Unglück ist Irlands Freude.«
    Doch trotz seiner politischen Orientierung, die er nur mit seinen nationalistischen Freunden in Irland oder im Hause Alice Stopford Greens teilte, war es England, das ihm Sympathie und Bewunderung für seine Taten entgegenbrachte. Dieser Umstand berührte ihn unangenehm.
    Inzwischen zeigte sich immer deutlicher, dass das Schicksal der Peruvian Amazon Company , sosehr sie sich dagegen auch wehren mochte, im Grunde besiegelt war. Ihr Ruf nahm weiter Schaden durch einen Skandal, von dem der Journalist Horace Thorogood berichtete, der im Auftrag von The Morning Leader die Führungskräfte des Unternehmens interviewen wollte und dabei von einem der Vorstände, einem Schwager Julio C. Aranas namens Abel Larco, einen Umschlag mit Geld zugesteckt bekam. Als der Journalist fragte, was dies zu bedeuten habe, entgegnete Larco, das Unternehmen erweise sich seinen Freunden gegenüber stets großzügig. Empört wies der Journalist die Bestechung zurück und machte den Vorfall publik, woraufhin die Peruvian Amazon Company öffentlich um Entschuldigung bitten musste. Sie behauptete, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt, die Verantwortlichen würden jedoch unverzüglich entlassen.
    Der Aktienkurs des an der Londoner Börse notierten Unternehmensfiel beträchtlich. Zum Teil lag das auch an der zunehmenden Konkurrenz, die durch die einsetzenden Importe aus den britischen Kolonien in Asien – Singapur, Malaysia, Java, Sumatra und Ceylon – entstanden war. In einer waghalsigen Aktion hatte der englische Wissenschaftler und Abenteurer Henry Alexander Wickham Sprösslinge des Kautschukbaums aus dem Amazonasgebiet geschmuggelt und in diese Länder eingeführt. Doch in erster Linie war am Niedergang der Peruvian Amazon Company der Prestigeverlust des Unternehmens selbst schuld. Die Lloyds Bank kündigte alle Kredite, und viele weitere Banken in Europa und den Vereinigten Staaten folgten diesem Beispiel. Der von der Gesellschaft zur Abschaffung der Sklaverei und anderen Organisationen initiierte Boykott des Gummis der Peruvian Amazon Company brachte das Unternehmen um zahlreiche Kunden und Geschäftspartner.
    Aranas Gesellschaft wurde der Gnadenstoß versetzt, als das Unterhaus im März 1912 eine Sonderkommission ernannte, die die Beteiligung der Peruvian Amazon Company an den Gräueltaten in Putumayo untersuchen sollte. Das fünfzehn Mann starke Gremium arbeitete mehrere Monate lang unter der Leitung des angesehenen Parlamentariers Charles Roberts. An den sechsunddreißig öffentlichen Sitzungen, in denen siebenundzwanzig Zeugen angehört wurden, nahmen Journalisten, Politiker und Vertreter verschiedener religiöser und weltlicher Organisationen teil, darunter der Präsident der Gesellschaft zur Abschaffung der Sklaverei, Missionar John Harris. Die Presse berichtete ausführlich darüber.
    Der Zeuge, der die höchsten Erwartungen hervorrief und das meiste Publikum anzog, war Sir Roger Casement. Er sagte am 13. November und am 11. Dezember 1912 vor der Kommission aus. Knapp und präzise beschrieb er, was er mit eigenen Augen in den Kautschukstationen gesehen hatte: die Fußblöcke, das Hauptfolterinstrument in allen Siedlungen, die mit Narben übersäten Rücken, die Peitschen und Gewehre der Aufseher und Jungs, die für Ordnung sorgten undauf ihren Treibjagden die Eingeborenendörfer heimsuchten, die sklavischen Lebensbedingungen, Ausbeutung und Hunger der Eingeborenen. Dann fasste er die Zeugenaussagen der Barbadier zusammen, deren Glaubwürdigkeit, wie er betonte, durch ihr Geständnis bekräftigt wurde, dass sie selbst gefoltert und gemordet hätten. Auf Bitten der Kommissionsmitglieder erklärte er schließlich den Hintergrund des machiavellistischen Systems: Die Stationsvorsteher bekamen kein Gehalt, sondern arbeiteten auf Provisionsbasis, was dazu führte, dass sie von den Sammlern immer mehr Kautschuk einforderten, um ihren Gewinn zu erhöhen.
    Bei der zweiten Anhörung gab Roger eine kleine Vorführung. Vor den verblüfften Parlamentariern holte er aus einem großen Sack, den

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