Der Traum des Kelten
Deutschland dir bezahlt?«, lautete der Zwischenruf, den er am häufigsten hörte. Das Geschrei war irgendwann so ohrenbetäubend laut, dass er nicht weiterreden konnte. Einige bewarfen ihn mit Kieselsteinen und spuckten in seine Richtung aus. Die deutschen Soldaten eskortierten ihn im Laufschritt aus dem Saal.
Über diesen Zwischenfall kam er nicht hinweg. Die Erinnerung daran sollte unablässig an ihm nagen.
»Bedeutet diese Abfuhr, dass ich klein beigeben muss, Pater Crotty?«
»Sie müssen tun, was Ihrer Meinung nach das Beste für Irland ist, Roger. Ihre Absichten sind rein. Mangel an Zustimmung ist nicht unbedingt ein Hinweis darauf, ob eine Sache gut oder schlecht ist.«
Fortan sah Roger sich zu einer aufreibenden Wahrung des Scheins gezwungen, da er vor der deutschen Regierung so tun musste, als wäre die Irische Brigade im Begriff, sich zu formieren. Tatsächlich hätten sich bislang nur einige wenige Freiwillige gemeldet, meldete Roger, er versicherte den Deutschen jedoch, dass sich das ändern würde, wenn die Gefangenen ihr anfängliches Misstrauen überwunden hätten und einsehen würden, dass ein Bündnis mit Deutschland das Beste für Irland und damit auch für sie, die Gefangenen selber sei.
Insgeheim wusste er allerdings inzwischen, dass dem nicht so war, dass es keine massiven Beitritte geben und die Brigade ein eher symbolisches Unterfangen bleiben würde.
Aber warum dann überhaupt weitermachen? Warum nicht lieber den Rückzug antreten? Weil dies einem Selbstmord gleichgekommen wäre, den Roger nicht begehen wollte. Noch nicht. Jedenfalls nicht auf diese Art. Deshalb handelte er, so schwer ihm auch ums Herz war, Anfang 1915, während er parallel viel Zeit mit der »Affäre Findlay« verlor, das die Irische Brigade betreffende Abkommen aus. Seine Verhandlungspartner, Graf Georg von Wedel und Graf Rudolf Nadolny, hörten aufmerksam zu, als er seine Bedingungen erläuterte, undmachten sich Notizen. Bei ihrem nächsten Treffen teilten sie ihm mit, die deutsche Regierung sei bereit, auf seine Forderungen einzugehen: Die Brigade würde eine eigene Uniform und irische Offiziere haben, sie würde selbst entscheiden, an welchen Gefechtsorten sie in Aktion treten würde, und alle Unkosten würden der deutschen Regierung von der republikanischen Regierung Irlands zurückerstattet werden, sobald sich diese konstituiert habe. Roger wusste so gut wie seine Gegenüber, dass all das vollkommen hypothetisch war, denn Mitte 1915 zählte die Irische Brigade noch nicht einmal genügend Mitglieder, um eine Kompanie zu bilden; sie war gerade vierzig Mann stark, und einige würden vermutlich wieder abspringen. Oft drängte sich Roger die Frage auf: »Wie lange wird diese Farce noch andauern?« In seinen Briefen an Eoin MacNeill und John Devoy fühlte er sich verpflichtet, ihnen zu versichern, dass die Brigade zwar langsam, aber sicher Form annehme. Sie müssten unbedingt irische Offiziere entsenden, die sich um die Ausbildung kümmern und den Oberbefehl über die künftigen Regimenter und Kompanien übernehmen sollten. Man versprach es ihm, doch auch in Irland konnte man nicht Wort halten. Der Einzige, der eintraf, war Hauptmann Robert Monteith. Allerdings wog dieser unerschütterliche Hauptmann ein ganzes Bataillon auf.
Erste Vorboten dessen, was ihm bevorstehen sollte, erreichten Roger, als an den Bäumen gerade die ersten grünen Blättchen sprießten. Der Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts hatte ihm im Rahmen einer ihrer regelmäßigen Unterredungen ganz unvermittelt erklärt, die Oberste Heeresleitung halte seinen Assistenten Eivind Adler Christensen für nicht vertrauenswürdig. Es gebe Hinweise darauf, dass er ein Informant des britischen Geheimdienstes sei. Roger müsse sich auf der Stelle von ihm trennen.
Roger traf diese Verdächtigung aus heiterem Himmel, sie erschien ihm absurd. Als er Beweise forderte, antwortete man ihm, der deutsche Nachrichtendienst hätte so etwas nicht gemeldet, gäbe es nicht stichhaltige Gründe. Eivind wollte geradefür ein paar Tage nach Norwegen reisen, um seine Familie zu besuchen, und Roger ermunterte ihn dazu. Er gab ihm Geld und brachte ihn zum Bahnhof. Es war das letzte Mal, dass er ihn sah. Und von diesem Zeitpunkt an hatte Roger eine weitere Sorge: Konnte es sein, dass der junge Wikingergott ein Spion war? Er ließ die gemeinsamen Monate Revue passieren, durchkämmte sein Gedächtnis nach irgendetwas Suspektem, einem verräterischen Wort, irgendeinem
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