Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
Vom Netzwerk:
entführen oder sie zu töten wie tollwütige Hunde, wenn sie Widerstand leisteten. Dieses Bild der Eingeborenen war allgemein verbreitet, weshalb, wie schon Pater Urrutia gesagt hatte, niemand daran Anstoß nahm, dass die Bediensteten in Iquitos in der Regel geraubte und für umgerechnet ein oder zwei Pfund verkaufte Kinder waren. Er atmete tief durch. Wenn er all das in Erfahrung gebracht hatte, ohne die Stadt auch nur zu verlassen, was würde ihn dann erst in Putumayo erwarten?
    Die Kommissionsmitglieder verließen Iquitos am Vormittag des 14. September 1910. Roger hatte Frederick Bishop, einen der Barbadier, die sie angehört hatten, als Dolmetscher engagiert. Bishop sprach Spanisch und versicherte, dass er die beiden in den Kautschukstationen besonders verbreiteten Eingeborenensprachen, Bora und Huitoto, verstehe und sich darin verständlich machen könne.
    Die Liberal , das größte der fünfzehn Schiffe aus der Flotte der Peruvian Amazon Company , war in gutem Zustand. In den kleinen Kabinen hatten jeweils zwei Reisende Platz. An Bug und Heck waren Hängematten für diejenigen angebracht, die lieber unter freiem Himmel schliefen. Bishop hatte große Angst davor, nach Putumayo zurückzukehren, und bat Roger um die schriftliche Bestätigung, dass er auf der Reise unter dem Schutz der Kommission stand und danach die britische Regierung für seine Rückkehr nach Barbados aufkommen würde.
    Die Fahrt von Iquitos bis La Chorrera, der größten Siedlung des riesigen Gebietes zwischen den Flüssen Napo und Caquetá, in dem die Peruvian Amazon Company tätig war, dauerte acht Tage, in denen sie drückender Hitze, Heerscharen von Moskitos, bohrender Langeweile und einer monotonen Landschaft und Geräuschkulisse ausgesetzt waren. Das Schiff fuhr den Amazonas flussabwärts, der kurz nach Iquitos so breit wurde, dass man kaum noch die beiden Ufer ausmachen konnte, überquerte bei Tabatinga die Grenze zu Brasilien, fuhr weiter den Yavarí hinab und über den Igaraparanázurück nach Peru. Auf diesem Streckenabschnitt rückten die Ufer wieder näher, und bisweilen baumelten Lianen und Äste der mächtigen Bäume über dem Schiffsdeck. Man sah krächzende Papageienschwärme zwischen den Wipfeln schwirren, rosa Kraniche, die sich auf einer Flussinsel geruhsam auf einem Bein stehend sonnten, gelbbraune Schildkrötenpanzer, die aus dem etwas helleren Wasser lugten, und manchmal den gezackten Rücken eines im Uferschlick dösenden Kaimans, der dann vom Schiff aus mit Gewehren und Revolvern unter Beschuss genommen wurde.
    Roger verbrachte die meiste Zeit damit, seine Notizen und Aufzeichnungen zu ordnen und einen Arbeitsplan für die Monate auszuarbeiten, die sie in den Besitzungen von Julio C. Arana zubringen würden. Die Anordnungen des Foreign Office lauteten, nur die in den Kautschukstationen arbeitenden Barbadier zu befragen, die britische Staatsbürger waren, dafür die peruanischen und anderen ausländischen Arbeiter außen vor zu lassen, um die peruanische Regierung nicht zu verstimmen. Doch Roger hatte nicht vor, sich derart einschränken zu lassen. Seine Untersuchung würde ganz und gar unvollständig bleiben, wenn er nicht auch die Plantagenverwalter, ihre Jungs  –  die auch »Verständige« genannten, Spanisch sprechenden Indios, die die Arbeiter überwachten und die Bestrafungen vornahmen – und die Eingeborenen selbst befragte. Nur so würde er einen Einblick in die Methoden des Unternehmens bekommen und beurteilen können, inwieweit die Behandlung der Indios gegen Ethik und Gesetz verstieß.
    In Iquitos hatte Pablo Zumaeta die Kommission informiert, das Unternehmen habe auf Aranas Anweisung hin einen der obersten Chefs, Señor Juan Tizón, nach Putumayo vorausgeschickt, der sie in Empfang nehmen und ihnen bei ihrer Arbeit behilflich sein sollte. Die Kommissionsmitglieder vermuteten, dass Tizón sich tatsächlich nur nach Putumayo begab, um die Spuren der Übergriffe zu tilgen und ihnen eine geschönte Wirklichkeit zu präsentieren.
    Sie kamen am 22. September 1910 zur Mittagszeit in LaChorrera an. Der Ort verdankte seinen Namen, »die Strömende«, den Stromschnellen und Wasserfällen, die durch eine jähe Verengung des Flussbettes an dieser Stelle entstanden und ein tosendes Spektakel aus Schaum und Strudeln rings um nass glänzende Felsen boten, das die träge Gleichförmigkeit des Igaraparaná durchbrach, des Nebenflusses, an dessen Ufer sich das Hauptquartier der Peruvian Amazon Company befand. Um von der

Weitere Kostenlose Bücher