Der Traum des Kelten
sagte er am Tag ihrer Ankunft zu Juan Tizón, »im Kongo war ich oft in Kautschukstationen und Kautschuklagern. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass der kongolesische Latex einen so starken, unangenehmen Geruch verströmt hätte.« »Es sind unterschiedliche Arten«, erklärte ihm Tizón. »Dieser hier riecht stärker, ist aber auch resistenter als der afrikanische Kautschuk. In die nach Europa verfrachteten Bündel wird Talk gestreut, um die Ausdünstungen zu mildern.«
In der gesamten Region von Putumayo waren einhundertsechsundneunzig Barbadier registriert, davon befanden sich in La Chorrera jedoch nur sechs. Zwei von ihnen hatten sich gleich kategorisch geweigert, mit Roger zu sprechen, obwohl dieser ihnen durch Bishop versichern ließ, dass ihre Aussagen streng vertraulich behandelt würden, keine unangenehmen Folgen für sie hätten und er sich persönlich darum kümmern würde, sie nach Barbados zurückzuschicken, sollten sie nicht länger für Aranas Unternehmen arbeiten wollen.
Die vier, die einer Unterredung zustimmten, waren seit fast sieben Jahren in Putumayo und hatten auf verschiedenen Plantagen als Aufseher gearbeitet, damit standen sie hierarchisch zwischen den Verwaltern und den Jungs. Der erste, mit dem er sich unterhielt, war Donal Francis, ein großer kräftigerSchwarzer, der hinkte, ein trübes Auge hatte und so nervös und misstrauisch war, dass Roger, wie er sogleich ahnte, nicht viel aus ihm herausbekam. Francis antwortete einsilbig und stritt alle Anschuldigungen ab. Glaubte man seinen Worten, kamen in La Chorrera Vorsteher, Angestellte und »sogar Wilde« bestens miteinander aus. Es gab keine Probleme und erst recht keine Gewalt. Er war gut abgerichtet worden, was er vor der Kommission aussagen durfte und wie er sich zu verhalten hatte.
Roger war schweißüberströmt. Er trank etwas Wasser. Würden die Anhörungen der übrigen Barbadier ebenso nutzlos sein? Nein, das waren sie nicht. Philip Bertie Lawrence, Seaford Greenwich und vor allem Stanley Sealy nahmen, nachdem ihre anfängliche Befangenheit von Rogers Versprechen im Namen der britischen Regierung, sie nach Barbados zurückzuschicken, überwunden worden war, kein Blatt vor den Mund und beschuldigten sich dabei selbst bisweilen so heftig, als könnten sie es kaum erwarten, ihr Gewissen zu erleichtern. Stanley Sealy veranschaulichte seine Aussage mit derart konkreten Beispielen und Ausführungen, dass Roger trotz seiner langen Erfahrung mit der menschlichen Grausamkeit zwischendurch von einer Übelkeit und Beklemmung übermannt wurde, die ihm den Atem raubten. Als der Barbadier geendet hatte, war die Nacht hereingebrochen. Das Summen der Insekten war ohrenbetäubend. Zu zweit hatten sie eine Packung Zigaretten geraucht. In der zunehmenden Dunkelheit konnte Roger schon nicht mehr die Züge des kleinen Mulatten Stanley Sealy ausmachen, nur die Umrisse seines Kopfes und seiner muskulösen Arme waren erkennbar. Er war noch nicht lange in La Chorrera. Zuvor hatte er zwei Jahre auf der Plantage Abisinia als rechte Hand der Vorsteher Abelardo Agüero und Augusto Jiménez gearbeitet und davor auf Matanzas mit Armando Normand. Sie saßen schweigend auf der Holzbank der Veranda vor Rogers Schlafzimmer. Die Moskitos stachen Roger in Gesicht, Hals und Arme, doch ihm fehlte die Energie, sie zu verscheuchen.
Plötzlich bemerkte er, dass Sealy weinte. Er hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte leise, seine Brust bebte in tiefen Seufzern. Roger sah die Tränen in seinen Augen schimmern.
»Glaubst du an Gott?«, fragte Roger. »Bist du religiös?«
»Als Kind war ich das, glaube ich«, brachte der Mulatte mit brüchiger Stimme hervor. »In St. Patrick, wo ich geboren bin, hat mich meine Patin sonntags in die Kirche mitgenommen. Jetzt weiß ich nicht.«
»Ich frage dich das, weil es dir vielleicht hilft, zu Gott zu sprechen. Ich meine nicht beten, sondern zu ihm zu sprechen. Versuch es. Genauso offen, wie du mit mir gesprochen hast. Erzähl ihm, was du fühlst, warum du weinst. Er kann dir in jedem Fall besser helfen als ich. Ich wüsste nicht, wie, ich fühle mich ebenso niedergeschmettert wie du, Stanley.«
Wie auch Philip Bertie Lawrence und Seaford Greenwich war Stanley Sealy bereit, seine Aussage vor den Kommissionsmitgliedern, sogar in Gegenwart von Juan Tizón, zu wiederholen. Immer unter der Bedingung, dass Roger anwesend wäre und er mit ihm nach Iquitos und von dort aus nach Barbados fahren könnte.
Roger trat in
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