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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Eindrucksvolle Räumlichkeiten, an einer Wand hing ein Landschaftsbild von Gainsbourough, uniformierte Sekretärinnen, dicke Teppiche, Ledersofas für die Besucher und ein Schwarm von Schreibern in gestreiften Hosen, schwarzen Überröcken, steifen weißen Hemdkragen und kurzen Krawatten, die Buch führten, Telegramme versandten und empfingen, die stinkenden, mit Talk bestäubten Kautschukladungen in die Industriestädte ganz Europas verkauften. Während am anderen Ende der Welt in Putumayo Huitotos, Ocaimas, Muinanes, Nonuyas, Andoques, Rezígaros und Boras nach und nach ausgerottet wurden, ohne dass dies irgendjemanden groß zu kümmern schien.
    »Warum haben diese Eingeborenen nicht versucht, zu rebellieren?«, hatte Walter Folk beim Abendessen gefragt und selbst hinzugefügt: »Natürlich, sie haben keine Feuerwaffen. Aber es sind sehr viele, sie könnten sich erheben und ihre Peiniger durch ihre schiere Anzahl überwältigen, auch wenn einige dabei umkommen würden.« Roger antwortete ihm, das sei nicht so leicht. Sie rebellierten aus denselben Gründen nicht wie die Kongolesen. Es gab wenige Ausnahmen von dieser Regel, lediglich selbstmörderische Versuche von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen. Denn in einem so unerbittlichen System der Ausbeutung wurde der Geist noch vor dem Körper zerstört. Die Gewalt, deren Opfer die Eingeborenen waren, brach ihren Willen zum Widerstand, ihren Überlebensinstinkt, verwirrte und verängstigte sie, verwandelte sie in bloße Automaten. Für viele war das, was ihnen zustieß, nicht der Bosheit konkreter Menschen zuzuschreiben, sondern einermythischen Katastrophe, einem Fluch der Götter, einer Bestrafung, der man nicht entrinnen konnte.
    Allerdings entdeckte Roger nun in Putumayo, in seinem Dossier über das Amazonasgebiet, dass die Boras der Station Abisinia vor einigen Jahren sehr wohl den Versuch einer Rebellion unternommen hatten. Doch davon wollte niemand sprechen. Keiner der Barbadier hatte es erwähnt. Der junge Bora-Häuptling Katenere hatte dort eines Nachts mit einer kleinen Gruppe Männer seines Stammes die Gewehre der Vorsteher und Verständigen gestohlen, Bartolomé Zumaeta, einen Verwandten Pablo Zumaetas, getötet, weil der einmal im Suff seine Frau vergewaltigt hatte, und war im Busch verschwunden. Die Gesellschaft setzte ein Kopfgeld auf ihn aus. Mehrere Suchexpeditionen wurden ausgesandt. Fast zwei Jahre lang blieb er unauffindbar. Bis er von einem anderen Indio verraten wurde, der ein paar Kopfgeldjäger zu der Hütte führte, in der sich Katenere mit seiner Frau versteckt hielt. Der Häuptling konnte entkommen, doch seine Frau wurde gefasst. Der Vorsteher Vásquez vergewaltigte sie höchstpersönlich vor aller Augen und steckte sie in den Fußblock. Mehrere Tage kauerte sie dort ohne Wasser und Nahrung, von Zeit zu Zeit wurde sie ausgepeitscht. Bis eines Nachts der Häuptling erschien. Zweifellos hatte er die Folter seiner Frau aus dem Dickicht beobachtet. Er überquerte die Lichtung, warf das Gewehr weg, das er bei sich trug, und kniete sich unterwürfig neben den Fußblock, in dem seine sterbende oder bereits tote Frau befestigt war. Vázquez befahl den Verständigen schreiend, nicht auf ihn zu schießen. Er selbst stach Katenere mit einem Draht die Augen aus. Dann ließ er ihn gemeinsam mit seiner Frau bei lebendigem Leib verbrennen, in einem Kreis aus Indios der Umgegend. Hatte es sich so zugetragen? Das schaurig romantische Ende mochte dem in diesen Breitengraden verbreiteten Gefallen an makabren Geschichten geschuldet sein. Doch es blieben das Symbol und das Exempel: Ein Eingeborener hatte rebelliert, den Unterdrücker bestraft und war gestorben wie ein Held.
    Kaum war die Sonne aufgegangen, ging Roger nach draußen und kletterte die Böschung zum Fluss hinunter. Er fand eine kleine Bucht, die Schutz vor der Strömung bot, und badete nackt. Das kalte Wasser war wie eine Massage. Erfrischt und gestärkt kleidete er sich wieder an. Auf dem Rückweg ging er an dem Wohnviertel der Huitotos vorbei. Ihre runden Hütten, mit Lianen zusammengehaltene Palmholzbretter, die mit geflochtenen Elfenbeinpalmblättern gedeckt waren, standen zwischen Feldern mit Maniok, Mais und Bananenbäumen verstreut. Er begegnete ausgezehrten Frauen mit Kindern auf dem Rücken – keine erwiderte sein nickendes Grüßen –, aber nicht einem einzigen Mann. In seiner Unterkunft legte eine Indiofrau mit grünen und blauen Strichen im Gesicht ihm gerade die Kleidung hin, die er am

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