Der Traum des Kelten
sein Zimmer, zündete die Öllampe an, zog sich das Hemd aus und wusch sich an der Waschschüssel Brust, Achselhöhlen und Gesicht. Er hätte gern geduscht, doch dafür hätte er nach unten ins Freie gehen müssen und sein Körper wäre von den Moskitos noch schlimmer zerstochen worden.
Er ging zum Abendessen hinunter in das ebenfalls mit Öllampen erleuchtete Speisezimmer. Seine Reisegefährten standen mit Juan Tizón zusammen und tranken lauwarmen Whisky mit Soda. Drei oder vier halbnackte eingeborene Bedienstete trugen gebratenen und gegarten Fisch, gekochten Maniok, Süßkartoffeln und Maismehl herein, das über die Speisen gestreut wurde wie in Brasilien das Farinha . Zwei weitere Bedienstete verscheuchten mit Strohwedeln die Fliegen.
»Wie ist es Ihnen mit den Barbadiern ergangen?«, fragte Juan Tizón und reichte ihm ein Glas Whisky.
»Besser, als ich gedacht hätte, Señor Tizón. Ich hatte Angst, sie würden sich nicht trauen, den Mund aufzumachen. Aber es haben ganz im Gegenteil drei von ihnen völlig offen gesprochen.«
»Ich hoffe, Sie setzen mich über die Klagen in Kenntnis, die Ihnen zu Ohren kommen«, sagte Tizón halb im Spaß. »Das Unternehmen möchte verbessern, was es zu verbessern gibt. Das ist seit jeher Señor Aranas Politik gewesen. Wie auch immer, ich nehme an, Sie haben Hunger. Zu Tisch, meine Herren!«
Sie setzten sich und bedienten sich aus den verschiedenen Schalen. Die Kommissionsmitglieder hatten nachmittags die Installationen von La Chorrera besichtigt und mit Bishops Hilfe Verwaltungs- und Lagerangestellte befragt. Alle wirkten matt und wenig gesprächig. Ob ihre Eindrücke von diesem ersten Tag so deprimierend waren wie seine eigenen?
Juan Tizón bot Wein an, doch da er gleichzeitig darauf hinwies, dass der französische Wein durch Transport und das lokale Klima manchmal sauer wurde, blieben alle beim Whisky.
Während des Essens sagte Roger mit einem Blick auf die Indios, die sie bedienten:
»Ich habe gesehen, dass viele Indios in La Chorrera Narben auf Rücken, Hintern und Schenkeln haben. Dieses Mädchen da, zum Beispiel. Wie viele Hiebe bekommen sie normalerweise, wenn sie ausgepeitscht werden?«
Ein tiefes Schweigen entstand, man hörte nur mehr das Knistern der Öllampen und das Sirren der Insekten. Alle sahen Juan Tizón ernst an.
»Die meisten dieser Narben fügen sie sich selbst zu«, behauptete er. »Diese Stämme haben ziemlich barbarische Initiationsriten, wie Sie wissen, sie bohren sich Löcher in Wangen, Lippen, Ohren und Nase, um Ringe, Zähne und alles Mögliche durchzustecken. Ich gebe zu, dass einige Narben auch von Aufsehern stammen können, die sich nicht an die Richtliniender Gesellschaft gehalten haben. Unsere Satzungen verbieten allerdings kategorisch jegliche Form der physischen Bestrafung.«
»Das war nicht meine Frage, Señor Tizón«, sagte Roger. »Aber abgesehen davon wundert es mich, dass die Indios unter ihren vielen Narben nicht auch das Brandmal der Gesellschaft tragen.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Tizón und senkte seine Gabel.
»Die Barbadier haben mir erklärt, dass viele Eingeborene mit den Initialen der Gesellschaft gebrandmarkt sind: CA, Casa Arana. Wie Kühe, Pferde oder Schweine. Damit sie nicht weglaufen oder von den kolumbianischen Kautschukunternehmern geraubt werden. Die Barbadier haben das vielfach selbst getan, die Zeichen eingebrannt oder mit dem Messer eingeritzt. Doch bisher habe ich keinen Indio mit einem solchen Mal gesehen. Was ist aus ihnen geworden, Señor Tizón?«
Da verlor Juan Tizón mit einem Schlag die Fassung und seine vornehmen Manieren. Sein Gesicht war rot angelaufen, und er bebte vor Empörung.
»Ich verbitte mir diesen Tonfall«, rief er in einer Mischung aus Spanisch und Englisch. »Ich bin hier, um Ihnen bei Ihrer Arbeit zu helfen, nicht, um mir Ihre sarkastischen Bemerkungen anzuhören.«
Roger nickte gelassen.
»Verzeihen Sie«, sagte er ruhig. »Es ist nur so, dass ich im Kongo zwar Zeuge unsagbarer Grausamkeit wurde, gebrandmarkte Menschen habe ich indes noch nie gesehen. Aber ich bin mir sicher, dass Sie für solche Schandtaten keine Verantwortung tragen.«
»Selbstverständlich trage ich keine Verantwortung für irgendwelche Schandtaten«, erhob Tizón heftig gestikulierend wieder die Stimme. Unbeherrscht sprang sein Blick hin und her. »Wenn sie begangen werden, dann kann die Gesellschaft nichts dafür. Sehen Sie nicht, wo Sie hier sind, Señor Casement?Hier gibt es keine
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