Der Traum des Satyrs
die Pollenspur nach, die auf ihrem Hals zurückgeblieben war.
Die Male, die seine Hände und Lippen auf ihrer Haut hinterlassen hatten, waren verblasst, doch die Erinnerung an ihre Nacht mit Dominic war noch immer frisch. Obwohl sie mittlerweile geübt darin war, die Erinnerungen zu verdrängen, schlichen sie sich manchmal in ihren Kopf, wenn sie es nicht erwartete.
Besonders in den Nächten, wenn alles ruhig und einsam war. Dann verfolgten sie sie erbarmungslos in ihren Träumen und ließen ihren Körper erbeben vor verwirrendem, beschämendem Verlangen. Ein weiterer Grund, warum sie etwas Distanz zwischen sich und diesen Ort bringen wollte, der die Erinnerung an ihn barg. Und wäre es nur für eine kurze Weile.
Sie stand abrupt auf und schüttelte ihren Rock aus. Ihr schwarzes Kleid war schmucklos, in Kreppgewebe eingefasst, ein Kleid für die Zeit der Trauer. Ein Kleid, das einer frischgebackenen Witwe angemessen war.
»Komm mit,
cara mia.
« Sie hob Rosettas Körbchen auf und machte sich auf den Weg zum Haus.
Als sie zu den Hügeln in der Ferne blickte, verspürte sie Gewissensbisse. Es war eine freudige Zeit für die Familie. Die Weinreben waren zum Bersten voll mit einer Energie, die nur darauf wartete, in Form von Knospen entfesselt zu werden.
Wenn sie jetzt fortging, würde sie diese Phase und auch die Ernte im nächsten Herbst verpassen. Das Heranreifen der Trauben, an dessen Gelingen sie so hart gearbeitet hatte. In der Vergangenheit hatte immer Carlo die Anerkennung für ihre Arbeit eingeheimst. Ganz Italien hielt ihn für den Winzer und nicht sie. Niemand kannte die Wahrheit – dass sie für ihren kleinen Anteil des Weinbergs zuständig gewesen war, während er das Weingut verlassen hatte, um in einem Krieg zu kämpfen, der in einer anderen Welt tobte.
Sie hatte es ihm nicht übelgenommen. Die Arbeit hatte ihr eine Beschäftigung geboten – und noch etwas, das Carlo an sie band. Wenn sie ihm anbot, dieses Geschenk als sein Werk auszugeben, so hatte sie gedacht, dann würde er sie wollen. Dann würde er zurückkommen wollen. Doch nun konnte er nicht mehr zurückkommen.
Er war tot, und seine Asche war in der Urnenhalle der Familie beigesetzt worden.
Ein Gärtner tippte grüßend an seinen Hut, als Emma an ihm vorbeiging, und seine Augen waren voller Mitgefühl. Sie nickte ihm zu und eilte weiter, während sie den gewohnten Stich von Schuldgefühl verspürte.
Jedes freundliche Wort, das an sie gerichtet wurde, bewirkte, dass sie sich noch mehr wie eine Heuchlerin fühlte, denn sie empfand nicht den Schmerz einer Witwe. Stattdessen verzehrte sie sich vor Reue über ihr Verhalten in der letzten Vollmondnacht. Auch wenn Carlo die Ereignisse, die stattgefunden hatten, erst in Gang gesetzt hatte, so hatte er doch nicht erwartet, dass sie Lust mit Dominic finden würde. Sie hatte ihren Ehemann vielleicht nicht in ihrem Bett gewollt, doch sie hatte kein Recht gehabt, sich nach einem anderen an seiner Stelle zu sehnen.
Manchmal drängte es sie danach, die Geheimnisse jener Nacht zu enthüllen, die Wunde, die sie in ihr geschlagen hatten, zu öffnen und zu reinigen, indem sie die beschämenden Erinnerungen aus sich herausfließen ließ. Für immer.
Stattdessen hielt sie ihre Geheimnisse tief in ihrem Inneren verschlossen und wartete darauf, dass deren Gegenwart wie eine schmerzhafte Wunde heilte, vernarbte und schließlich verschwand.
Als Teil ihrer Buße hatte sie die Beileidsbezeugungen und Freundlichkeiten der anderen mit stoischer Anmut entgegengenommen. Und sie hatte sich ihrem Kind und den Weinbergen gewidmet. Das Leben ging weiter.
Emma hielt inne und setzte Roses Körbchen auf der Steinmauer ab, die den Garten eingrenzte. Sie nahm ihre Augengläser ab, hauchte sie an und polierte sie mit einem Zipfel der Decke ihrer Tochter. Dann setzte sie sie wieder auf und betrachtete die länger werdenden Schatten des frühen Nachmittags.
Bald würde es Zeit sein, sich bei Jane einzufinden. Sie nahm den Korb wieder auf und ging nach drinnen. Heute beim Abendessen würde sie es ihnen sagen.
16
S eht her, wir haben einen Gast!«, verkündete Jane.
Emma, die auf der langen lackierten Bank am Piano ihrer Schwester saß, erhob sich halb, plumpste aber sofort wieder verunsichert auf ihren Sitz zurück. Das Blut wich aus ihren Wangen, nur um sie im nächsten Moment umso heftiger erröten zu lassen, als der neue Gast feierlich in den Salon gebeten wurde.
Dominic.
Mit einem hungrigen Blick sog sie seine
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