Der Traum des Schattens
Einschreiten der Wächter befürchten zu müssen.
» Welche waren es?«, fragte Mattim.
Die Rösser bewegten sich unruhig. Eines hob den Kopf und witterte; in seinen Augen glänzte etwas Wölfisches.
» Die beiden grauen«, antwortete Hanna. » Sie kennen mich. Siehst du, sie sind neugierig und kommen her.«
Mattim streckte die Hand aus, um sie auf den Kopf des Grauen zu legen, doch als das Tier nach ihm schnappte, zog er sie hastig zurück.
» Erst das Blut. Das ist sicherer.« Er wuchtete den Eimer in die Höhe und gab dem Pferd zu trinken. Das Blut hatte er in einem Krankenhaus in Budapest gestohlen. Die Schatten hatten kein Interesse an abgezapftem Blut, für sie musste es direkt aus der Quelle kommen, das Schattenpferd dagegen trank gierig. Ihn schauderte. Er mochte Pferde über alles, aber diese Geschöpfe hier jagten ihm einen Schauer über den Rücken.
» Wir brauchen eine geschlossene Kutsche«, meinte Hanna.
» Nein«, sagte er. » Das dauert viel zu lange. Unser einziges Heil liegt in der Geschwindigkeit, daher reiten wir. Ich nehme meine Mutter zu mir in den Sattel.«
» Ich kann gar nicht reiten«, protestierte sie.
» Wer hat gesagt, dass du mitkommen musst? Geh zurück in die Burg, zu Kunun. Das hier ist von jetzt an meine Angelegenheit.«
» Ich habe ihm gesagt, dass ich für ein paar Tage nach Deutschland fliege, meine Eltern besuchen. In dieser Zeit kann ich tun, was ich will.«
Mattim starrte sie an. » Was? Du hast ihn belogen?«
Eine steile Falte entstand zwischen ihren Brauen. » Und? Ist das etwa schlimmer als das, was ich bereits getan habe? Eines Tages werde ich ihm die Wahrheit sagen, aber wann es so weit ist, entscheide ich ganz alleine.«
» So hättest du Liebe früher nicht definiert«, murmelte er. Es erfüllte ihn einerseits mit Triumph, dass ihre Beziehung zu Kunun so anders war als die zu ihm, andererseits war ihm diese veränderte Hanna ein wenig unheimlich. » Ich gebe zu, es beunruhigt mich etwas, dass du deinen neuen Freund so kaltherzig hintergehst.«
» Kaltherzig?«, fauchte Hanna. » Du hast ja keine Ahnung, wie es in mir aussieht.« Sie hielt den Eimer, während er das Pferd sattelte. » Wenn du es genau wissen willst– all das ist für Kunun. Manchmal tut man Dinge, die man später bereut… und ich weiß, dass er es bereuen würde, wenn seiner Mutter etwas zustieße. Also bringen wir sie weg, und irgendwann wird er mir dafür dankbar sein.«
Mattim nahm sich das zweite Pferd vor. Es war dunkler, sein Fell etwas länger und struppiger: Wolfsfell. Das Blut schien dieses Tier eher aufzukratzen, als zu beruhigen, und mehrmals versuchte es, ihn zu beißen.
» Das hier braucht einen Maulkorb.– Du weißt, dass Kunun jeden hart bestraft, der seine Gesetze bricht, oder? Er wird bei dir keine Ausnahme machen.«
» Er liebt mich«, sagte sie kühl, » und ich liebe ihn. Er ist mein Freund, nicht mein König. Die ganzen Regeln, die er aufstellt, interessieren mich nicht. Er ist so oft verletzt und verraten worden… Im Moment könnte er es nicht glauben, dass jemand es wirklich gut mit ihm meint. Ich muss Geduld mit ihm haben.«
» Trotzdem ist es sicherer für dich, wenn du nicht mitkommst«, sagte Mattim. Auf weitere Einblicke in Kununs gekränkte Seele wollte er gerne verzichten.
» Ich tue, was ich für richtig halte. Dazu gehört, dass ich mit nach Jaschbiniad gehe und überprüfe, ob die Königin heil dort ankommt. Ohne mich wirst du die Stadt gar nicht finden«, trumpfte sie auf. » Geschweige denn hineinkommen. Die Leute dort sind nicht gerade gastfreundlich. Es besteht sogar die Gefahr, dass sie uns angreifen, wenn wir dort aufkreuzen. Ich werde sie davon überzeugen müssen, dass sie sich selbst einen Gefallen tun, wenn sie Elira aufnehmen.« Sie warf einen abschätzigen Blick auf das Schwert, das er am Gürtel trug. » Vielleicht nimmst du das besser nicht mit. Wenn wir auf der Hängebrücke stehen, wird uns das jedenfalls nichts nützen. Oder hast du Angst, dass ich dich beiße?«
» Ich reite jedenfalls nicht unbewaffnet durch Magyria«, sagte er.
Sie konnten die Brücke über den Donua nicht benutzen, ohne bemerkt zu werden, und er wagte es nicht, die Schattenpferde mit dem Wasser in Berührung zu bringen. Daher hatten sie einen Pferdeanhänger durch die Pforte gebracht, der hinter den Büschen bereitstand. Damit wollten sie in Budapest den Fluss überqueren und durch einen Übergang außerhalb der Stadt zurückkehren, an einen Treffpunkt, wo
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