Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Schattens

Der Traum des Schattens

Titel: Der Traum des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
dem erfolgreichen Kampf konnte ihr nichts so schnell die Stimmung verderben. » Danke schön für das unsittliche Angebot, ich werde darüber nachdenken.« Sie erwiderte sein unverschämtes Grinsen mit einem koketten Augenaufschlag. » Viel heller wird es übrigens nicht werden– es gibt keine strahlenden Sommertage in Magyria. Jetzt sollten wir aber weiterreiten, bevor die Pferde unruhig werden.«
    Am Abend erreichten sie die Schlucht. » In meinem Traum wird ein neuer Traum geboren«, sagte die Königin beim Anblick der Felsenstadt über dem Abgrund. Sie gähnte und lehnte sich müde gegen eines der Pferde.
    Skeptisch betrachtete Mattim die Hängebrücke. » Da sollen wir sie rüberbringen? Ich schlage vor, du bleibst hier und passt auf sie auf, während ich auf die andere Seite gehe und kläre, ob sie Elira aufnehmen.«
    » Kommt nicht in Frage. Sie kennen mich dort als Kununs Freundin.«
    » Verlobte«, verbesserte Mattim grimmig.
    » Wie bitte? Das wüsste ich aber.«
    » Ein Mann in seiner Position reist nicht mit irgendwelchen lockeren Bekanntschaften. Falls ja, würde er es nicht öffentlich machen, denn dies wäre eine unglaubliche Beleidigung für die Gastgeber. Ein König oder Prinz würde nur seine Ehefrau mitnehmen oder eine Frau, die er zu ehelichen gedenkt. Sie betrachten dich mindestens als seine Verlobte, dessen kannst du dir gewiss sein.«
    Hanna ärgerte sich über seine Worte. Er war nicht dabei gewesen in Jaschbiniad, woher wollte er es also wissen? Musste er ständig so klug daherreden? » Dich würden sie mit einem einzigen Hebelgriff in den Abgrund schicken.« Sollen sie ruhig, dachte sie böse.
    » Wenn sie Kunun so sehr hassen, wie du sagst, wird deine Gegenwart sie bloß reizen.«
    Hanna seufzte. » Wie oft sollen wir noch darüber streiten, ob ich irgendwohin mitkomme? Ich hatte vor, diese fürchterliche Brücke nie wieder zu betreten, aber jetzt bin ich hier und gehe diesen Weg bis zum Ende. Komm jetzt.«
    Mattim drehte sich zu seiner Mutter um. Sie hatte sich in einer Senke zwischen ein paar Felsbrocken zusammengerollt und schlief. Die Pferde, an einer Wurzel festgebunden, bleckten die Zähne.
    » Gut«, sagte er leise. » Wir lassen sie schlafen. Ich will mir sicher sein, dass sie gut aufgenommen wird, bevor ich sie einer Gefahr aussetze.«
    Beim zweiten Mal war Hanna die Brücke nicht sympathischer als beim ersten. Sie bewunderte Mattim, der leichtfüßig einherschritt und den Abgrund einfach ignorierte.
    » Gib mir deine Hand«, schlug er vor, als sie zögerte. » Mit der anderen umfasse das Seil. Schau nicht nach links oder rechts, sondern nach vorn. Dort ist das Ziel.«
    Bei jedem Schritt verwünschte sie ihre Sturheit und sehnte sich nach festem Grund. Sie hätte bei Elira bleiben sollen, um auf sie aufzupassen und darauf zu achten, dass niemand die Pferde stahl. Sie hätte… Ein Windstoß bewegte die Brücke, und sie klammerte sich an Mattim. Er lachte leise. Es klang wie Kununs Lachen, und sie fragte sich, was sie hier eigentlich tat, mit dem falschen Bruder.
    » Ich finde es bewundernswert, wie du als Schatten ausgerechnet die Dinge tust, die du verabscheust«, sagte er. » Als wärst du nur in diese neue Existenz eingetreten, um der Welt vorzuführen, dass du jemand anders bist.«
    » Manche Dinge müssen eben getan werden.«
    » So ist es«, stimmte er zu, und wieder war da dieses Bittere in seiner Stimme, ein Geschmack nach Wermut, und auch das kannte sie von Kunun, selbst wenn er sich freute oder triumphierte. Wenn sie Mattim nicht ansah, konnte sie sich beinahe vorstellen, dass es Kunun war, mit dem sie über die Brücke schritt, so wie beim ersten Mal.
    Der hatte damals viel geredet, um sie abzulenken, während Mattim schwieg, bis die Stadt vor ihnen in die Höhe wuchs.
    » Sag ihnen bloß nicht, dass ich der Bruder des Königs bin«, meinte er plötzlich.
    » Warum nicht? Ich dachte, du wolltest damit punkten, dass du ihn hasst, weil sie ihn ebenfalls hassen.«
    » Ich fürchte, so einfach ist es nicht«, murmelte er. » Wo sind die Wachen?«
    Niemand war zu sehen. Der Felseingang öffnete sich vor ihnen, dunkel und still.
    » Letztes Mal standen sie schon alle bereit«, meinte Hanna.
    Mattim blieb stehen. » Das gefällt mir nicht. Halt dich am Seil fest, so fest du kannst. Sofort!«
    Im selben Moment geriet die Brücke in Bewegung, und die letzten paar Bretter vor ihnen rutschten einfach davon. Hanna klammerte sich ans Seil, während ihr der Boden unter den Füßen

Weitere Kostenlose Bücher