Der Traum des Schattens
Farank mit Elira wartete.
Als Mattim neben Hanna auf dem Beifahrersitz Platz nahm, hörten sie die Pferde im Anhänger randalieren.
» Kunun hat sie tatsächlich vor eine Kutsche gespannt? Das sind mörderische Biester, denen ich nicht im Dunkeln begegnen möchte. Hoffen wir, dass wir diesen Ritt überleben.«
Auch um Reiten zu lernen, war es von Vorteil, ein Schatten zu sein, weil man nicht müde wurde und den Schmerz in den immer empfindlicher werdenden Körperteilen nicht spürte. Dass Hanna sich nicht vor einem Sturz fürchtete, half ebenfalls viel. Ein paar Mal wurde sie abgeworfen und stand wieder auf, als wäre nichts gewesen. Nur die Schrammen an ihren Armen ärgerten sie, denn sie würden für immer bleiben.
Die Königin saß friedlich auf Mattims Pferd. Manchmal hielt er sie vor sich im Sattel, manchmal ließ er sie hinter sich sitzen. Dann schlang sie die Arme um ihn, lehnte die Wange an seinen Rücken, und auf ihrem Gesicht machte sich pure Glücksseligkeit breit. Hanna beneidete sie tief im Innern um diesen Platz, am liebsten hätte sie selbst dort gesessen. Aber das war natürlich Unsinn.
Schon die Kutschfahrt mit Kunun war ihr schnell vorgekommen, gegen diesen Teufelsritt war das jedoch gar nichts. Weder waren die Pferde durch einen Wagen behindert, noch kannten sie Müdigkeit oder Schmerzen. Die Lust an der Geschwindigkeit überkam sie, und sie rannten wie um ihr Leben. Drei Tage hatten Kunun und Hanna beim letzten Mal für die Strecke gebraucht; wenn Mattim nicht ein Mensch gewesen wäre, der zwischendurch Ruhe benötigte, hätten sie es diesmal an einem einzigen Tag geschafft.
Endlich tauchte die Furt durch den Bach vor ihnen auf. Die Pferde stürmten hindurch und wollten auch am anderen Ufer nicht anhalten. Wiehernd bäumten sie sich auf. Hanna konnte sich nicht länger festhalten und fiel hart auf den Rücken. Sie spürte, wie etwas in ihr zerbrach, und für einen kurzen Moment glaubte sie, dass sie das Bewusstsein verlieren würde. Dann verdrängte sie den Schmerz und rappelte sich auf. Mattim half gerade seiner Mutter vom Pferd. Anscheinend hatte er sich mit dem unheimlichen Ross angefreundet, denn er klopfte ihm den Hals.
» Diese Pferde muss man nicht abreiben, oder?«, fragte sie, während sie beobachtete, wie er das nasse Fell mit einem verdrehten Grasbüschel bearbeitete. » Die werden sich wohl kaum erkälten. Du bist derjenige, der fertig aussieht.«
Mattim wischte sich den Schweiß von der Stirn. » Er mag eine wilde, bluttrinkende Bestie sein, aber er genießt es, wenn jemand sich um ihn kümmert. Ein paar Stunden solltest du uns allen gönnen, Hanna. Auch meine Mutter braucht Ruhe.«
Es fühlte sich komisch an, mit Mattim hier zu sein, an diesem romantischen Platz, den Kunun ihr gezeigt hatte. Es war Nacht, und diesmal jagte kein kleiner Vogel nach Fischen. Dafür tanzten Leuchtkäfer über das Ufer. Die Königin sang leise vor sich hin.
Stöhnend streckte Mattim sich auf seiner Decke aus. » Ich hoffe, diese Ungeheuer versuchen nicht, mich aufzufressen, während ich schlafe.« Der Graue knabberte an dem Strick, mit dem er angebunden war. In seinen Augen glomm ein unheilvolles Feuer.
» Ich halte Wache«, sagte Hanna. » Schlaf ruhig.«
» Im Ernst?«
» Natürlich. Ich passe auf deine verrückte Mutter auf, auf die Biester und auf dich. Ich bin ein Schatten, ich brauche keinen Schlaf.«
» Vier Stunden«, meinte er. » Hast du eine Uhr? Weck mich, wenn die Zeit um ist.« Damit drehte er sich um und schlief sofort ein.
Elira, in ihren Träumen gefangen, tanzte mit den Leuchtkäfern um die Wette, wobei die Pferde ihr mit großen Augen zusahen. Hanna saß auf dem Boden, die Arme um die Knie geschlungen, und wachte über sie alle, über Mensch und Tier.
» Ich muss die Geschichte noch zu Ende erzählen«, sagte die Königin plötzlich. » Mach die Augen zu. Stell dir vor, du liegst in deinem Zimmer, in deinem Bett. Draußen senkt sich die Nacht über die Stadt wie ein dunkles Tuch. An diesem Abend schweigen die Wölfe.«
» Ja«, flüsterte Hanna.
» Eines Nachts geschah es, dass wieder ein Wolf in jenes andere Land gelangte, das nur einen Lidschlag von unserem entfernt ist. Dort fand er ein Mädchen, schöner als der Morgen, ein Mädchen voller Licht, das nicht vor ihm erschrak. Traurig wandte er sich ab, denn er konnte sein Fell nicht abwerfen. Da rief das Mädchen den Wolf zu sich. Sie streckte die Hände nach ihm aus und hielt ihn fest. Er biss sie nicht in ihre
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