Der Traum des Schattens
ihm hingeben wollte. Aber die Bilder, die in ihren Geist drängten, ließen sich nicht fangen, entglitten ihrem Willen wie schuppige Goldfische.
Mattim unter den Bäumen im Park, Mattim und die Seifenblasen, der Schimmer von Gold auf seinem Haar. Sein Lachen…
» Auf wen bist du so zornig?«, fragte sie.
» Ich bin der König von Magyria«, sagte Kunun. » König über die Menschen, die Schatten und die Wölfe. Doch wer gehorcht mir überhaupt? Sogar die Wölfe tun sich schwer damit, für mich zu kämpfen oder mir auch nur in Kleinigkeiten zu gehorchen. Für ihn dagegen würden sie durchs Feuer gehen.«
» Für ihn?«, fragte sie und ahnte schon, wen er damit meinte.
» Er war hier«, sagte Kunun leise, » und hat mich beraubt.«
» Dein Bruder?«
» Nein.« Er lachte freudlos. » Das würde er nicht wagen… aus ganz bestimmten Gründen. Mein Vater dagegen… Was kümmert ihn deine Sicherheit? Verdammt, er hat mich öffentlich anerkannt! Mir bleibt nur zu hoffen, dass ihn der Wald verschlingt.«
Kununs Hemd roch nach dem alten Gemäuer der Burg, nach Dunkelheit. Es war eine tröstende Dunkelheit, die Geborgenheit bedeutete. Sie hielt sich an ihm fest, während ihre Gedanken ungezähmt umherirrten.
» Was ist mit dem Wald?«
» Es gibt Wesen dort, die nicht einmal ich kenne«, sagte er. » Magyria ist zäh, weißt du? Zuerst hat es danach ausgesehen, als würde alles verwelken und sterben. Doch jetzt blüht der Wald wieder auf, neue Pflanzen wuchern, und fremdartige Geschöpfe wagen sich hervor. Es kommt mir vor wie ein letzter Fieberausbruch vor dem unvermeidlichen Ende.« Er runzelte die Stirn. » Farank hat abtrünnige Schatten um sich geschart, die gegen mich arbeiten. Sie sind sehr gefährlich, Hanna, wie ich vorhin erst zu meinem Verdruss erfahren habe. Du solltest lieber nicht allein in den Wald gehen.«
In der Schwärze erklang sein bitteres Lachen wie etwas noch Dunkleres.
» Früher war ich das schlimmste Wesen östlich des Donua, und alle mussten sich vor mir in Acht nehmen. Wir Schatten und die Wölfe waren die Herren jenseits des Flusses. Jetzt herrsche ich in Akink und habe selbst Feinde dort im Wald. Deshalb muss ich dich warnen: Geh nicht alleine nach drüben.«
» Das hatte ich nicht vor«, sagte sie.
» Gut, ich werde nämlich eine Weile nicht da sein. Diese Frechheit gehört bestraft. Nein, ich werde nicht dulden, dass die Rebellen den Wald für sich beanspruchen. Wir drängen sie zurück, wir zeigen Präsenz. Man kann nicht König sein, ohne Feinde zu haben, das war mir bewusst. Ihnen muss jedoch auch klargemacht werden, wo die Grenzen sind. Sie sind zu weit gegangen.«
Mit keinem einzigen Wort erwähnte er seine verschwundene Mutter. Er wetterte gegen Farank und dessen Anhänger, ohne zu ahnen, dass Hanna Bescheid wusste, dass die Schuldige ihm gegenüberstand. Es fiel ihr schwer, ihm in die Augen zu schauen. Sie wollte nicht, dass er ihretwegen seinen Vater noch mehr hasste, dass ihre Tat den Keil zwischen den beiden Männern noch tiefer hineintrieb. Jetzt war der richtige Zeitpunkt gekommen, um ihm die Wahrheit zu sagen… aber sie brachte es nicht über sich. Was würde er mit Elira tun, wenn er sie einfing? Sollte sie wieder wie eine Putzfrau die Böden wischen, eine Gefangene hinter geschlossenen Türen?
Hanna wünschte sich, sie hätte sich ihm anvertrauen können, doch in seiner Wut würde er sie für eine Verräterin halten. Sobald er sich beruhigt hatte, würde er sie vielleicht verstehen, aber nicht jetzt.
» Wir vertreiben sie aus der Nähe der Brücke, so wie sie es früher mit uns gemacht haben! Und auch wenn du mich vermisst…«, er kratzte ihr mit dem Zeigefinger über die Wange, » komm mir nicht nach. Warte hier oder besser noch in deiner eigenen Wohnung. Ich dulde nicht, dass du in Gefahr gerätst, du wärst eine willkommene Zielscheibe für sie, wenn hier alles drunter und drüber geht.«
» Warum gerade ich?« Es schmerzte, dass er seine Entscheidungen über ihren Kopf hinweg traf, dass er es nicht für nötig hielt, sie in seine Geheimnisse einzuweihen. Dass er ihr nicht vertraute, tat noch mehr weh als die Tatsache, dass sie ihn hinterging.
Sein Lächeln war wie ein Riss in der Finsternis. » Glaub mir, es ist so.«
Die Pferde grasten auf der anderen Seite des Donua, unweit der Stadtmauer. Wenn es hell gewesen wäre, hätte man die ungebetenen Besucher von dort aus gesehen, aber in der Dunkelheit kamen sie ganz nahe an den Zaun heran, ohne ein
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