Der Traum des Wolfs
»Ich habe bereits angefangen, dem Kind das Schreiben beizubringen. Falls nötig, kann ich mich eine Weile um ihn kümmern.«
»Großartig. Wunderbar.« Mat stieß einen erleichterten Seufzer aus. Frauen freuten sich immer über die Gelegenheit, einen Jungen zu unterrichten, solange er noch klein war; vermutlich glaubten sie ihm beibringen zu können, kein Mann zu werden, wenn sie sich dafür nur richtig ins Zeug legten. »Ich gebe Euch etwas Geld. Ihr könnt in die Stadt gehen und ein Gasthaus finden.«
»Ich war schon in der Stadt«, sagte Setalle. »Dort scheint jedes Gasthaus bereits bis unters Dach gefüllt zu sein.«
»Ich finde einen Ort für Euch«, versprach Mat. »Sorgt nur dafür, dass Olver in Sicherheit ist. Wenn die Zeit gekommen ist und ich jemanden für die Wegetore habe, lasse ich Euch nach Illian bringen, damit Ihr Euren Mann finden könnt.«
»Abgemacht«, sagte Setalle. Sie zögerte, blickte nach Norden. » Die … anderen, sie sind also weg?«
»Ja.« Glücklicherweise.
Sie nickte und sah aus, als würde sie etwas bedauern. Vielleicht hatte sie seine Männer nicht herumgescheucht, damit das Essen fertig wurde, sondern weil es sie geärgert hatte, sie beim Nichtstun zu sehen. Vielleicht hatte sie nach einer Beschäftigung gesucht.
»Es tut mir leid«, sagte Mat. »Was Euch auch immer passiert ist.«
»Die Vergangenheit ist vergangen«, erwiderte sie. »Und ich muss sie ruhen lassen. Ich hätte nie darum bitten sollen, mir den Gegenstand ansehen zu dürfen, den Ihr tragt. Diese letzten paar Wochen haben dazu geführt, dass ich mich vergaß.«
Mat nickte, verabschiedete sich und machte sich dann auf die Suche nach Olver. Und danach sollte er wirklich seinen Mantel wechseln. Und verflucht, er würde sich auch rasieren. Die Männer, die nach ihm suchten, konnten ihn gern umbringen, wenn sie wollten. Eine aufgeschlitzte Kehle würde diesem verfluchten Jucken vorzuziehen sein.
Elayne spazierte durch den Morgengarten des Palastes. Ihre Mutter hatte diesen kleinen Garten, der sich auf dem Dach des Ostflügels befand, immer geliebt. Ihn umgab eine steinerne weiße Brüstung, der hintere Teil wurde von einer Mauer begrenzt.
Von hier aus konnte Elayne die ganze Stadt überblicken. Früher hatte sie.die unteren Gärten gemocht, weil sie eine Zuflucht darstellten. In diesen Gärten hatte sie Rand kennengelernt. Sie drückte eine Hand auf den Bauch. Auch wenn sie sich gewaltig vorkam, war die Schwangerschaft erst seit Kurzem zu sehen. Unglücklicherweise hatte sie eine völlig neue Garderobe in Auftrag geben müssen. In den kommenden Monaten würde sie das vermutlich wiederholen müssen. Wie lästig.
Sie spazierte weiter durch den Dachgarten. In Übertöpfen blühten weiße Morgensterne. Die Blüten waren bei Weitem nicht so groß, wie sie hätten sein sollen, und sie verwelkten bereits. Die Gärtner beklagten sich, dass nichts half. Vor der Stadt verdorrten breitflächig Gras und Büsche, und der Flickenteppich aus Feldern und Äckern sah deprimierend braun aus.
Sie kommt, dachte Elayne. Sie ging den sorgfältig gepflegten Graspfad entlang. Die Bemühungen der Gärtner waren nicht völlig vergebens. Das Gras hier war größtenteils grün, und die Luft roch nach Rosen, die die Mauer hinaufwuchsen. Auch sie wiesen braune Stellen auf, aber sie waren erblüht.
Ein plätschernder Bach verlief durch die Gartenmitte, eingesäumt von sorgfältig angeordneten Flusskieseln. Dieser Bach floss nur, wenn sie den Garten besuchte; man musste das Wasser zu der Zisterne hochschleppen.
Sie blieb an einem anderen Aussichtspunkt stehen. Im Gegensatz zu der Tochter-Erbin konnte eine Königin nicht die Einsamkeit suchen. Birgitte ging neben ihr. Sie hatte die Arme über ihrer rotbemantelten Brust verschränkt und musterte Elayne.
»Was?«
»Du bist deutlich zu sehen«, sagte Birgitte. »Jeder mit einem Bogen und einem scharfen Auge könnte diese Nation mühelos wieder in einen Nachfolgekrieg stürzen.«
Elayne verdrehte die Augen. »Ich bin sicher, Birgitte. Mir wird nichts passieren.«
»Oh, dann entschuldige ich mich«, sagte Birgitte tonlos. »Die Verlorenen sind frei und hassen dich, die Schwarze Ajah ist zweifellos außer sich, dass du ihre Agenten gefangen genommen hast, und du hast diverse Adlige gedemütigt, die dir den Thron wegnehmen wollten. Offensichtlich schwebst du nicht in der geringsten Gefahr. Ich gehe dann Mittag essen.«
»Das könntest du durchaus«, fauchte Elayne. »Weil ich sicher bin.
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