Der Traum des Wolfs
helfen soll, größere Ziele zu erreichen.«
»Hingabe ist wichtig, Nynaeve. Die Weiße Burg beschützt und leitet die Welt.«
»Und doch tun es so viele von uns ohne Familien«, sagte Nynaeve. »Ohne Liebe und abgesehen von unseren mannigfaltigen Interessen auch ohne Leidenschaft. Und während wir auf diese Weise versuchen, die Welt zu führen, wenden wir uns von ihr ab. Wir neigen zur Arroganz, Egwene. Wir gehen immer davon aus, dass wir es besser wissen, riskieren dabei aber, dass wir die Menschen nicht mehr verstehen, denen wir zu dienen vorgeben.«
Egwene runzelte die Stirn. »Verkünde diese Ideen nicht zu laut, zumindest nicht heute. Du hast sie auch so schon genug durcheinandergebracht. Aber diese Prüfung war brutal, Nynaeve. Es tut mir leid. Man durfte nicht den Eindruck haben, dass ich dich bevorzuge, aber ich hätte dem ein Ende machen müssen. Du hast getan, was du nicht tun solltest, und das hat die anderen zu ständig wachsender Strenge getrieben. Sie sahen, dass kranke Kinder dich treffen, also ließen sie immer mehr davon in der Prüfung erscheinen. Manche schienen deine Siege wie eine persönliche Beleidigung zu empfinden, ein Ringen der Willenskraft. Das trieb sie zur Strenge. Sogar zur Grausamkeit.«
»Ich habe es überlebt«, sagte Nynaeve mit geschlossenen Augen. »Und ich habe dabei sehr viel gelernt. Über mich. Und über uns.«
Sie wollte eine Aes Sedai sein, in allem anerkannt. Das wollte sie unbedingt. Aber falls diese Schwestern am Ende ihr die Zustimmung verweigerten, dann wusste sie, dass sie trotzdem mit dem weitermachen würde, was getan werden musste.
Schließlich kamen die Sitzenden heran, gefolgt von Rosil. Nynaeve quälte sich auf die Füße, um respektvoll zu sein.
»Wir müssen über die verbotenen Gewebe sprechen, die Ihr eingesetzt habt«, sagte Saerin streng.
»Das ist die einzige Methode, die ich kenne, um Schattenhunde zu vernichten«, erwiderte Nynaeve. »Es war nötig.«
»Zu dieser Entscheidung fehlt Euch das Recht«, sagte Saerin. »Was Ihr getan habt, hat das Ter’angreal destabilisiert. Ihr hättet es zerstören können, Euch damit töten und uns vielleicht auch. Wir wollen, dass Ihr schwört, dieses Gewebe nie wieder zu benutzen.«
»Das werde ich nicht tun«, sagte Nynaeve müde.
»Und wenn es den Unterschied bedeutet, die Stola zu erringen oder sie für alle Zeiten zu verlieren?«
»Dieser Eid wäre dumm«, sagte Nynaeve. »Ich könnte in eine Situation geraten, in der Menschen sterben würden, wenn ich sie nicht einsetze. Beim Licht! Ich werde in der Letzten Schlacht an Rands Seite kämpfen. Was ist, wenn ich vor den Shayol Ghul trete und entdecken muss, dass ich ohne Baalsfeuer dem Drachen nicht helfen kann, den Dunklen König aufzuhalten? Wollt Ihr, dass ich mich zwischen einem albernen Eid und dem Schicksal der Welt entscheide?«
»Ihr glaubt, Ihr geht zum Shayol Ghul?«, fragte Rubinde ungläubig.
»Ich werde da sein«, sagte Nynaeve leise. »Das ist keine Frage. Rand hat mich darum gebeten, obwohl ich auch dann gehen würde, wenn er das nicht getan hätte.«
Die Sitzenden wechselten einen Blick und erschienen besorgt.
»Wenn Ihr mich erhebt«, sagte Nynaeve, »dann müsst Ihr mir einfach meiner Einschätzung über das Baalsfeuer vertrauen. Wenn Ihr mir nicht vertraut, dass ich einschätzen kann, wann ich ein sehr gefährliches Gewebe benutze und wann nicht, dann wäre es mir lieber, Ihr erhebt mich nicht.«
»Ich wäre da vorsichtig«, wandte sich Egwene an die Frauen. »Die Stola der Frau zu verwehren, die dabei geholfen hat, Saidin vom Makel zu reinigen - der Frau, die Moghedien selbst im Kampf besiegt hat, der Frau, die den König von Malkier geheiratet hat -, das wäre ein äußerst heikler Präzedenzfall.«
Saerin sah die anderen an. Drei nickten. Yukiri, Seaine und - überraschenderweise - Romanda. Drei schüttelten den Kopf. Rubinde, Barasine, Lelaine. Damit blieb nur Saerin übrig. Die entscheidende Stimme.
Die Braune wandte ihr den Rücken zu. »Nynaeve al’Meara, ich verkünde, dass Ihr die Prüfung bestanden habt. Wenn auch nur knapp.«
Egwene stieß neben ihr einen fast unhörbaren Seufzer der Erleichterung aus. Nynaeve wurde sich bewusst, dass sie selbst die Luft angehalten hatte.
»Es ist getan«, intonierte Rosil und klatschte laut in die Hände. »Nie soll jemand über das sprechen, was hier geschehen ist. Es ist an uns, das Schweigen mit der zu teilen, die es erlebt hat. Es ist getan.«
Die Frauen nickten zustimmend,
Weitere Kostenlose Bücher