Der Traum des Wolfs
kalten Sommersturm. Die Kälte ging nicht in Mark und Bein. Sie war lediglich ungemütlich. Birgitte schlug die Kapuze ihres Umhangs hoch und überquerte das regennasse Pflaster zum Pflaumentor. Das Torhaus war hell erleuchtet, und Gardisten mit feuchten Umhängen und Hellebarden standen davor.
Birgitte marschierte zum Torhaus. Wasser tropfte ihr von der Kapuze, als sie gegen die dicke Eichentür klopfte. Sie wurde geöffnet und enthüllte das schnurrbärtige Gesicht und den Kahlkopf von Renald Macer, dem diensthabenden Sergeanten. Der stämmige Mann hatte große Hände und ein mildes Temperament. Sie war immer der Ansicht gewesen, er hätte besser in einen Schuhmacherladen gepasst, aber die Garde nahm alle möglichen Leute auf, und Verlässlichkeit war oft wichtiger als der Umgang mit dem Schwert.
»Generalhauptmann!«, rief er aus. »Was macht Ihr denn hier?«
»Ich genieße den Regen«, fauchte sie.
»O je!« Er trat zurück und gab den Weg frei, damit sie das Torhaus betreten konnte. Es bestand aus einem einzigen bevölkerten Raum. Die Soldaten taten Dienst in der Sturmschicht - das bedeutete, dass das Tor von doppelt so vielen Männern wie üblich bewacht wurde, aber sie würden nur eine Stunde draußen stehen müssen, bevor sie sich mit Männern abwechselten, die sich ihm Torhaus aufgewärmt hatten.
Drei Gardisten saßen am Tisch und warfen Würfel in einen Würfelkasten, während ein offener Eisenofen Scheite verschlang und Tee wärmte. Ein drahtiger Mann, dessen Gesicht zur Hälfte von einem schwarzen Halstuch verborgen wurde, würfelte mit den Soldaten. Seine Kleidung war abgetragen, und der feuchte braune Haarschopf stand in allen Richtungen ab. Über dem Halstuch musterten braune Augen Birgitte, dann sackte der Mann ein Stück in sich zusammen.
Birgitte nahm den Umhang von den Schultern und schüttelte das Regenwasser ab. »Ich nehme an, das ist Euer Eindringling?«
»Nun ja«, sagte der Sergeant. »Wieso habt Ihr davon gehört?«
Sie betrachtete den Eindringling. »Er hat versucht, sich auf das Palastgelände zu schleichen, und jetzt würfelt ihr mit ihm?«
Der Sergeant und die anderen Männer sahen verlegen aus. » Nun, meine Lady …«
»Ich bin keine Lady.« Zumindest nicht dieses Mal. »Ich arbeite für meinen Lebensunterhalt.«
»Ah, ja«, fuhr Macer fort. »Nun, er gab sein Schwert freiwillig ab, und so gefährlich wirkt er nicht. Nur ein weiterer Bettler, der Reste aus der Küche haben will. Ein wirklich netter Bursche. Ich dachte, wir lassen ihn sich aufwärmen, bevor wir ihn bei diesem Wetter wieder rausjagen.«
»Ein Bettler«, sagte sie. »Mit einem Schwert?«
Sergeant Macer kratzte sich am Kopf. »Irgendwie ist das schon merkwürdig.«
»Du könntest einem General auf dem Schlachtfeld auch seinen Helm abschwatzen, nicht wahr, Mat?«, sagte sie.
»Mat?«, erwiderte der Mann mit vertrauter Stimme. »Ich weiß nicht, was Ihr meint, gute Frau. Mein Name ist Garard, ein einfacher Bettler mit einer übrigens recht interessanten Vergangenheit, wenn Ihr sie erfahren wollt…«
Sie sah ihn bloß energisch an.
»Ach, verdammte Asche, Birgitte«, beklagte er sich und zog das Tuch herunter. »Ich wollte einfach nur eine Weile ins Warme.«
»Und meinen Männern ihr Geld abnehmen.«
»Ein freundschaftliches Spiel hat noch keinem geschadet.«
» Solange es nicht mit dir ist. Warum in aller Welt schleichst du dich in den Palast?«
»Das letzte Mal war es einfach zu mühsam, hier hereinzukommen, verdammt noch mal«, sagte Mat und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Dachte, dieses Mal erspare ich mir das.«
Sergeant Macer warf Birgitte einen Blick zu. »Ihr kennt diesen Mann?«
»Leider. Ihr könnt ihn in meine Obhut entlassen, Sergeant. Ich sorge dafür, dass man sich gebührend um Meister Cauthon kümmert.«
»Meister Cauthon?«, sagte einer der Soldaten. »Ihr meint den Prinz der Raben?«
»Ach, verflucht noch eins …«, sagte Mat, als er aufstand und seinen Wanderstab ergriff. »Danke«, sagt er trocken zu Birgitte und schlüpfte in seinen Mantel.
Sie legte den Umhang wieder um und stieß die Tür auf, während einer der Gardisten Mat das Schwert zusammen mit seinem Gürtel zurückgab. Seit wann trug Mat ein Kurzschwert? Vermutlich sollte es nur von dem Kampfstab ablenken.
Die beiden traten hinaus in den Regen, während Mat den Gürtel festschnallte. »Prinz der Raben?«, fragte sie. »Ich will nicht darüber reden.«
»Warum nicht?«
»Weil ich verdammt noch mal einfach zu
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