Der Traum
die Finger einen nach dem anderen. Doch das Leiden zählt nicht, die Heiligen bleiben voller Verachtung, trachten voller Eile und Freude danach, noch mehr zu leiden. Im übrigen werden sie durch ein fortwährendes Wunder geschützt, sie ermüden die Henker. Johannes trinkt Gift, und es kann ihm nichts anhaben. Sebastian37 lächelt, von Pfeilen durchbohrt. In anderen Fällen bleiben die Pfeile zur Rechten und zur Linken des Märtyrers in der Luft stehen; oder, vom Bogenschützen abgeschossen, kehren sie wieder zurück und stechen diesem die Augen aus. Die Märtyrer trinken geschmolzenes Blei wie eisgekühltes Wasser. Löwen werfen sich vor ihnen nieder und lecken ihnen die Hände wie Lämmer. Der glühende Rost ist für den heiligen Laurentius38 von angenehmer Kühle. Er schreit: »Siehe, Elender, die eine Seite hast du gebraten, brate auch die andere, und iß, denn sie ist genug gebraten.« Cäcilia, die in ein siedendes Bad gesteckt wurde, »blieb darin als an einem kühlen Ort und empfand keinen Tropfen Schweißes«. Christina können die Martern nichts anhaben: ihr Vater läßt sie von zwölf Männern schlagen, bis diese vor Erschöpfung zusammenbrechen; ein anderer Henker tritt an ihre Stelle, bindet sie auf ein Rad, zündet darunter Feuer an, aber die Flamme fährt zur Seite und tötet bei fünfzehnhundert Mann; er wirft sie ins Meer, mit einem großen Stein am Hals, aber die Engel halten sie alsbald über dem Wasser; Jesus selbst kommt, sie zu taufen, danach übergibt er sie dem Erzengel Michael, der führt sie wieder an das Land zurück; ein weiterer Henker schließlich sperrt sie mit Schlangen zusammen, die sich ihr liebkosend um den Hals ringeln, läßt sie fünf Tage lang in einen feurigen Ofen sperren, darin sie singt und keinen Schaden leidet. Vincentius39, der noch mehr erduldet, leidet dennoch keinen Schmerz: man zerbricht ihm die Glieder; man reißt ihm mit eisernen Kämmen die Rippen auf, daß ihm die Eingeweide aus dem Leibe hängen; man spickt ihn mit Nadeln; man wirft ihn auf die Kohlenglut, in die das Blut aus seinen Wunden fließt; man schließt ihn wieder in den finstersten Kerker, die Füße an einen Pfahl genagelt; und zerstückelt, geröstet, mit offenem Leibe lebt er immer noch; und seine Martern werden verwandelt in die Lieblichkeit der Blumen; unermeßliches Licht vertreibt die Finsternis des Kerkers. »Da er also mit den Engeln über die Blumen schritt und Gott lobte, erscholl der süße Gesang weithin, und der liebliche Duft der Blumen breitete sich umher. Darob erschraken die Wächter und schauten durch die Spalten des Kerkers: da wurden sie gläubig von dem, was sie sahen. Als Dacianus40 das hörte, geriet er außer sich und rief: ›Was mögen wir ferner tun? Weh, wir sind überwunden.‹« Solches ist der Schrei der Folterknechte, es kann nur mit ihrer Bekehrung oder mit ihrem Tode enden. Ihre Hände werden von Lähmung befallen. Sie nehmen ein gewaltsames Ende, Fischgräten erwürgen sie, der Blitz erschlägt sie, ihre Wagen zerschellen. Und die finsteren Kerker der Heiligen werden alle licht, Maria und die Apostel dringen durch die Mauern mit Leichtigkeit hinein. Immerwährender Beistand, Erscheinungen steigen vom offenen Himmel hernieder, wo Gott sich zeigt, eine Krone aus Edelsteinen in den Händen haltend. Daher auch ist der Tod freudenreich. Sie fordern ihn heraus, die Verwandten frohlocken, wenn einer der Ihren umkommt. Auf dem Berge Ararat hauchen zehntausend Gekreuzigte ihr Leben aus. Nahe bei Köln lassen sich elftausend Jungfrauen von den Hunnen niedermetzeln. In den Arenen krachen die Knochen unter den Zähnen der wilden Tiere. Im Alter von drei Jahren erleidet Quiricus41, den der Heilige Geist wie einen Mann sprechen läßt, den Märtyrertod. Kinder an der Mutterbrust beschimpfen die Henker, Verachtung, Verabscheuung des Fleisches, des menschlichen Gelumpes, würzt den Schmerz mit himmlischer Wonne. Soll man das Fleisch nur zerreißen, soll man es zerbrechen, es verbrennen, das tut gut; mehr und immer mehr, niemals wird es genug Todesqualen leiden; und sie rufen alle, man solle ihnen das Eisen, das Schwert in die Brust stoßen, das allein sie tötet. Eulalia42 auf ihrem Scheiterhaufen inmitten eines verblendeten Pöbels, der sie verhöhnt, atmet die Flamme ein, um schneller zu sterben. Gott erhört sie, eine weiße Taube fliegt aus ihrem Munde und steigt zum Himmel auf.
Als Angélique dies las, befiel sie höchste Verwunderung. So viele Greuel und diese sieghafte Freude
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