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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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ins andere.
    Der Meister schwieg weiterhin. Wir waren betreten, denn wir konnten uns zwar über das Leid eines anderen lustig machen, waren aber unfähig, es zu lindern. Wir hatten äußerst kreative Ideen, wenn es darum ging, jemanden auszuschließen, aber keine Ahnung, wie wir es anstellen sollten, um jemanden in unseren Kreis aufzunehmen. Würde der Wunderheiler aufgefordert, ein langes, schwülstiges Gebet für den jungen Mann zu sprechen, wäre ihm das ein Leichtes, aber die Bitte, ihm Träume zu verkaufen, machte ihn hilflos. Würde Bartholomäus darum gebeten, sich mit dem Unbekannten anzufreunden, fände er das in betrunkenem Zustand kinderleicht, doch nüchtern war es schon kniffliger. Sollte Engelshand, um Finderlohn zu kassieren, dem jungen Mann zuerst die Brieftasche stehlen und sie ihm anschließend zurückgeben, würde ihm das keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Doch den Zwangsgestörten mit Worten zu fesseln war für ihn eine unerfüllbare Aufgabe.
    Sollte schließlich ich ihm einen Vortrag halten, um damit meine Kultiviertheit zu demonstrieren, würde mich das nichts kosten, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich diesen unbekannten, einfachen Mitmenschen für mich einnehmen konnte, ohne mit meiner Belesenheit anzugeben. Ich war zwar in der Lage, vor großem Publikum zu sprechen, aber nicht, ein einzelnes menschliches Wesen mit dem zu überzeugen, was ich jenseits allen Wissens bin. Ich hatte gelernt, über Kant, Hegel, Comte und Marx zu reden, aber nicht über mich. Und ich hatte mit meinem Auftreten ein System genährt, das die Menschlichkeit auf die Müllhalde der Geschichte geworfen hatte.
    Wie man einem Zwangsgestörten Träume verkauft, war in keiner Gebrauchsanleitung nachzulesen, und der Meister weigerte sich, uns den Weg vorzuzeichnen. So gingen wir unsicher auf den jungen Mann zu, ich, der Intellektuelle der Crew, noch steifer als die anderen. Honigschnauze, der längst in der Gosse gelandet war, hatte am wenigsten Berührungsängste. Er hockte sich neben ihn und wollte Kontakt aufnehmen, indem er ebenfalls seinen dicken Finger in die Ritzen zwischen den Gehwegplatten zu zwängen versuchte. Doch Salomon lachte ihn lauthals aus. Bartholomäus fühlte sich wie ein begossener Pudel, und sein Gegenüber setzte das Ritual fort.
    Beim Anblick dieser Szene konnte Edson nicht mehr an sich halten. Er drehte den beiden den Rücken zu und hielt die Hand vor den Mund, um sich das Lachen zu verkneifen. Der Zwangsgestörte blickte auf, sah das Loch in der Gehörmuschel des Wunderheilers, sprang auf und steckte seinen Finger hinein. Erschrocken stieß dieser einen Schrei aus, um dann pathetisch auszurufen: »Fall ab von mir, Beelzebub, dieser Leib ist nicht dein!«
    Salomon wich bestürzt zurück, und Edson, dem seine Grobheit bewusst wurde, legte sich die Hände an den Kopf. Schon wieder war er seiner Sucht verfallen, alles um sich herum durch die Brille des Übernatürlichen zu sehen. Doch diesmal war er damit zu weit gegangen. Er hatte tatsächlich eine tief im Unterbewusstsein wurzelnde psychische Erkrankung wie einen Teufel austreiben wollen.
    Salomon war tief verletzt und sagte: »Ich bin’s gewohnt, dass die Leute sagen, ich sei verrückt, durchgedreht, unzurechnungsfähig, geistesgestört und blöde. Aber noch nie hat jemand gesagt, ich sei vom Teufel besessen.«
    Edson wurde klar, wie sehr er den jungen Mann beleidigt hatte und wie wenig er Menschen akzeptierte, die anders waren. Statt Träume verkaufte er ja Albträume! Er blickte Salomon an und sagte: »Es tut mir leid. Bitte verzeih mir, dass ich so unsensibel, ungerecht, dumm und oberflächlich war. Ich habe das Gefühl, dass du viel stärker bist als ich. Du erträgst den öffentlichen Spott, und ich suche immer nur nach Beifall.«
    Edsons mutige, ehrliche Worte beeindruckten uns. Mit seiner Demut hatte er endlich eines der schwierigsten Wunder überhaupt vollbracht. Wie er hatte auch ich noch nie jemanden um Verzeihung gebeten, egal, wer er war. Wir hatten uns beide für kleine Götter gehalten, ich im Tempel des Wissens und er im Tempel der Spiritualität. Nun verstanden wir langsam, dass wir gerade dann, wenn wir uns schwach zeigen, stark sind.
    Wir hatten unsere Scheu jetzt verloren und stellten uns dem jungen Mann vor. Salomon seinerseits erzählte, dass er sein Psychologiestudium aufgeben musste, weil seine Professoren gesagt hatten, jemand mit einer Zwangsneurose könnte niemals andere Geisteskranke behandeln. Er hatte es dann mit Jura

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