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Der Traumhändler

Der Traumhändler

Titel: Der Traumhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Augusto Cury
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Er beobachtete fünf in der Luft tanzende bunte Schmetterlinge und notierte, dass er im Unterschied zu ihnen nur dann tanzte, wenn er betrunken war. Edson lauschte den unterschiedlichen Geräuschen der Blätter im Wind, die bescheiden den Passanten applaudierten, anstatt wie er selbst nach Applaus zu suchen. Dimas hatte Ameisen entdeckt, die ohne Unterlass arbeiteten, um sich auf den Winter vorzubereiten, was er selbst nie getan hatte. Lieber beging er einen Diebstahl und warf das Geld dann zum Fenster hinaus, weil er glaubte, das Leben sei ein ewiger Frühling.
    Nach dieser erquicklichen Übung riefen wir einen unserer Lieblingssätze aus: »Wie ich dieses Leben liebe!« Nie war es derart interessant gewesen, so wenig zu tun. Mir war die Gegenwart der Natur mitten in der Stadt gar nicht bewusst gewesen. Ich fragte mich, wie jemand, der auf Gesellschaftsanalyse spezialisiert war, diese Übung noch nie gemacht haben konnte. Zum ersten Mal liebte ich die Stille, und in dieser Stille entdeckte ich, dass ich keine Kindheit gehabt hatte.
    Ich konnte mich an kein einziges schönes Kindheitserlebnis erinnern. Vielleicht war ich ein so steifer Erwachsener geworden, weil ich mich als Kind nie entspannt hatte. Vielleicht war ich deshalb paranoid, weil ich nie erfahren habe, was eine unschuldige Kindheit ist. Und meine chronisch schlechte Laune und depressive Stimmung waren vielleicht darauf zurückzuführen, dass ich schon als Junge nicht unbeschwert und fröhlich war, da der Verlust meiner Eltern mich viel zu früh hatte erwachsen werden lassen. Ich war ein junger Mann, der viel nachdachte, aber wenig fühlte.
    Während ich mich an meine Kindheit erinnerte, schien der Meister mich zu beobachten. Er tat einen tiefen, geräuschvollen Atemzug und begann, über den heutigen Mord an der Kindheit zu sprechen, eines der Themen, die ihn am meisten beschäftigten: »Internet, Videospiele, Computer sind nützlich, haben aber etwas Unantastbares zerstört: die Kindheit. Wo ist der Genuss der Stille geblieben? Die unbeschwerte Freude, im Freien zu spielen? Die Kunst der Beobachtung? Die Unschuld? Es bedrückt mich, dass das System unglückliche, gehemmte Kinder hervorbringt, die höchstwahrscheinlich später auf der Couch des Psychiaters liegen werden, anstatt frohgemut und frei zu sein.«
    Plötzlich zeigte er eine Reaktion, die ich noch nie an ihm wahrgenommen hatte. Er richtete seinen Blick auf die Eltern mit ihren sieben- bis neunjährigen Kindern, die an uns vorbeigingen, um einzukaufen. Die meisten Kinder waren äußerst gut und modisch gekleidet – die Kleidungsstücke waren farblich alle aufeinander abgestimmt – und hielten Handys in der Hand. Doch sie wirkten eindeutig unzufrieden, obwohl sie es schafften, mit ihrem Geschrei ihre Eltern dazu zu zwingen, ihnen zu kaufen, was sie haben wollten.
    Der Traumhändler schien wütend und sprach die Eltern an: »Was tun Sie da mit Ihren Kindern? Fahren Sie mit ihnen in den Wald! Ziehen Sie ihnen die Schuhe aus und lassen Sie sie barfuß die Erde spüren! Geben Sie ihnen Gelegenheit, auf Bäume zu klettern, und regen Sie sie an, sich ihre eigenen Spiele auszudenken! Die Menschen haben sich unter der Glasglocke aus Egoismus und Konsum abgeschottet. Lassen Sie Ihre Kinder mit Tieren zusammenkommen, sodass sie andere Verhaltensweisen kennenlernen.« Dann paraphrasierte er den Satz Jesu: ›Die Kinder leben nicht von Einkaufszentren allein, sondern von all den Abenteuern der Kindheit.‹«
    Sein Mut gegenüber fremden Leuten beeindruckte mich. Einige Eltern wurden nachdenklich, andere aber auch ärgerlich. Ein Vater sagte: »Ist das nicht der Verrückte aus der Zeitung?«
    Ein Intellektueller, der wohl wie ich hochmütig auf die ungebildete Menschheit herabblickte, wurde deutlicher: »Ich bin Doktor der Psychologie und dulde keine Einmischung in meine Angelegenheiten. Für meine Kinder bin immer noch ich zuständig.« Dann sah er uns missbilligend von oben bis unten an und bemerkte halblaut zu seinen Freunden: »Was für ein Pack!«
    Honigschnauze hörte diese Beleidigung und konnte sein schnelles Mundwerk nicht im Zaum halten. » My friend , ich hab zwar keinen verdammten Doktortitel … – Kinder, bitte entschuldigt die Ausdrucksweise! –, aber ich weiß, wie wichtig es ist, dass die Kinder in der Natur aufwachsen. Das ist die beste Garantie dafür, dass sie nicht zum Säufer und Nichtsnutz werden wie ich!« Er beruhigte sich etwas und bat mit einer Handbewegung um Geduld: »Aber ich

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