Der Traumhändler
versucht und bekam zu hören, jemand mit derartigen Obsessionen würde von seinen Mandanten nicht ernst genommen und könnte schon gar nicht vor Gericht auftreten.
Er hatte nirgendwo länger als drei Monate gearbeitet. Niemand wollte einen jungen Mann einstellen, der sein Verhalten offenbar nicht kontrollieren konnte. Er war noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, denn es gab keine, die mit jemandem ausgehen wollte, der ständig verspottet wurde. Sein ganzes Leben lang war er ausgeschlossen worden. Und trotzdem war er unglaublich stark, denn obwohl er vor so vielen Hürden stand, hatte er keine Depressionen oder gar Selbstmordgedanken, ganz im Gegensatz zu mir. Natürlich waren seine Probleme riesig, doch abgesehen von den Momenten, in denen er sich abgelehnt fühlte, hatte er gelernt, sich am Leben zu freuen und es zu genießen. Er lebte besser als die Schüler des Meisters. Eigentlich hatten wir es nötig, seine Träume zu kaufen, und das wusste er.
Salomons Welt zu betreten war ein fantastisches Abenteuer. Jemand, der von der Gesellschaft verhöhnt wurde, entpuppte sich für uns als wundervolles menschliches Wesen. Nach unserer Entdeckungsreise auf dem faszinierenden neuen Kontinent namens Salomon rief der Meister ihn zu sich und forderte ihn auf, Träume zu verkaufen.
Anschließend führte er uns auf eine Grünfläche und erzählte uns dort vom anderen Salomon, dem König Israels, der in eine goldene Wiege gelegt worden war, jedoch weder Gold noch Silber noch politische Macht wollte, sondern den größten aller Schätze, die Weisheit. Durch seine Weisheitsliebe war Israel zu einem der ersten mächtigen Reiche der Antike aufgestiegen und lebte friedlich mit seinen Nachbarländern zusammen. Doch im Laufe der Zeit verfiel der König dem Rausch der Macht. Er ließ von der Weisheitssuche ab und wandte sich weltlichen Genüssen zu, doch ohne je Befriedigung zu finden. Schließlich fiel er in eine tiefe Depression und war ehrlich genug, um zuzugeben, dass ihn sein Leben unendlich langweilte. Alles war eitel, und nichts konnte ihn mehr aufmuntern.
»Der große König hatte Hunderte von Frauen, Wagen, Dienern und goldenen Kleidern; er besaß unzählige Paläste, gebot über ein riesiges, siegreiches Heer und war so oft geehrt worden wie kaum ein anderer König vor ihm; doch er hatte vergessen, zu lieben und sich an den Lilien auf dem Felde zu freuen, dem Symbol für Reinheit und Hingabe.«
Gerade als der Meister seine Lektion weiter ausführen wollte, wurde er wieder einmal vom unmöglichen Bartholomäus mit einer Bemerkung unterbrochen, die großes Gelächter hervorrief. »Chef, darf ich was fragen?«
»Sprich!«
»Ob Salomon deshalb so deprimiert war, weil er auch Hunderte von Schwiegermüttern hatte?«
Der Meister schmunzelte über Bartholomäus’ Spontaneität, antwortete ihm aber mit einem feinen Nadelstich: »Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass manche Schwiegermütter liebenswerter sind als viele Mütter.«
Dann schloss er seine Rede mit folgender Mahnung: »Es ist schwieriger, mit Erfolg umzugehen als mit Misserfolg. Die Geschichte von König Salomon lehrt uns, darauf achtzugeben, trotz eines erfolgreichen Lebens auch abzuschalten, die kleinen Dinge zu genießen und zu träumen. So kann ein idyllischer Landstrich, ein Blumengarten oder ein wunderbares Gemälde seinen Betrachter mehr inspirieren als seinen Besitzer. Gott hält den Zugang zu den höchsten Genüssen des Lebens allen offen. Reich sind jene, die nach diesem Schatz suchen, und elend jene, die ihn besitzen wollen.«
Daraufhin legte er seine Hände auf Salomons Schultern und würdigte ihn mit den Worten: »Alle wirklich großen Menschen stehen am Rande der Gesellschaft. Hier seht ihr jemanden vor euch, der sehr wenig und damit gleichzeitig alles hat. Salomon, wir danken dir dafür, dass du uns deine Träume verkaufst.«
Ein Altersheim
wird auf den Kopf gestellt
A m nächsten Morgen stieg die Sonne über unserem improvisierten Lager auf und lud uns zu einem neuen Tag aufregender Entdeckungen ein. Wie immer war Bartholomäus der Letzte, der aufstand. In einem bequemen Bett würde er wahrscheinlich den ganzen Tag verschlafen.
Bevor wir zur Wanderschaft durch die gesellschaftliche Geografie aufbrachen, sprach der Meister eine ungewöhnliche Einladung aus, die sich mit der Zeit als zentral für seine Lehre herausstellen sollte. Er lud uns zur Kunst des Nichtstuns ein, die darin bestand, den Geist zu befreien und einfach nur zu beobachten,
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