Der Traumkicker - Roman
abgeriegelt, als zielte der Lauf eines Gewehres auf unseren Nacken, immer auf den Nacken, wohin wir uns auch drehten.
Als wir uns am späten Vormittag im Gewerkschaftshaus einfanden, um dem Paar einen guten Morgen zu wünschen, trafen wir den Traumkicker nicht in bester Stimmung an. Erst bedankte er sich brummelnd für das Päckchen mit gebrauchter Kleidung, die wir sehr liebevoll und in bester Absicht für die beiden zusammengetragen hatten (eine Hose, drei Unterhosen und zwei Hemden aus Cordsamt für ihn, ein Taftkleid, zwei rosafarbene BH s und eine Strickjacke mit Zopfmuster für sie), und dann sagte er sichtlich besorgt, die Gute fühle sich gesundheitlich nicht auf der Höhe. Sie habe in der Nacht kein Auge zugetan, und er glaube nicht, dass sie bis Sonntag durchhalte. »Ihr lebt hier ja wirklich in einem Backofen«, meinte er vorwurfsvoll.
Da wir ihn mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dabehalten mussten, boten wir an, die Frau zur Krankenstation zu bringen. Womöglich, sagten wir in ärztlich gewichtigem Ton, rührten ihre Wallungen nicht von der Hitze her, und am besten lasse man den Arzthelfer nach ihr sehen. Sollte seine Diagnose auf etwas Ernsteres hindeuten, würden wir die Frau von dem Arzt untersuchen lassen, der jeden Dienstag und Freitag aus María Elena kam, um nach den Kranken in der Siedlung zu sehen.
»Was, wenn etwas anderes hinter den Schwindelgefühlen steckt, lieber Freund, wenn da der Storch mit einem kleinen Paket unterwegs ist«, säuselte Don Celestino Rojas.
Expedito González sah ihn an, wie man einen Idioten ansehen würde, der einem die Relativitätstheorie zu erklären versucht. Aber er entgegnete nichts. Er wechseltenur das Thema und meinte, er habe noch einen weiteren Grund zur Klage. Wir hielten das erst für die reinste Künstlerallüre, beklagte er sich doch, weil er am Morgen gemerkt hatte, dass die Tür vom Gewerkschaftssaal zur Straße nicht abgeschlossen gewesen war.
»Da kann man von Glück sagen, dass nichts passiert ist«, sagte er, und dabei wurden seine sowieso schon geweiteten Augen noch größer und weißer.
Also mussten wir ihm erklären, was bei allen Besuchern von auswärts Staunen hervorrief, dass bei uns die Türen (wie in allen Salpetersiedlungen) eigentlich immer offen standen, weil die Leute abends vergaßen abzuschließen und einfach ins Bett gingen. Weil wir einander wie Geschwister vertrauten und das Verbrechen ein Kraut war, das auf diesem Boden nicht gedieh.
»Sie werden schon sehen, die Türen der Menschen stehen hier offen von der Wiege bis zur Bahre, genau wie ihre Herzen«, sagte Juanito Caballero, unser Zeugwart, voll Stolz.
Das Haus der Arbeitergewerkschaft lag genau in der Mitte der Einkaufsstraße. In seinem großen Saal gab es neben dem Billardtisch eine Tischtennisplatte und etliche Tische für Gesellschaftsspiele. Auf der großen Tafel, wo sonst die Versammlungstermine und Bekanntmachungen der Gewerkschaft angeschrieben standen, prangte an diesem Morgen eine Einladung, die mit der Arbeit nichts zu tun hatte. Mit weißer und gelber Kreide, den Vereinsfarben von Coya Sur, wurde dort alle Welt eingeladen, am Sonntag, dem 2. November, die erste Mannschaft anzufeuern beim »letzten Spiel auf unseremgeliebten Platz«. Die Bekanntmachung war in Pata Patas breitbeiniger Schrift geschrieben, jedoch zusammen mit Don Celestino Rojas verfasst worden, und endete mit einer artigen Formulierung, wie sie für den Präsidenten unserer Sportvereinigung typisch war: »Den Staub der Niederlage muss man sie schlucken lassen, die Herren Staubfresser!«
Nach dem Mittagessen zelebrierte Expedito González zusammen mit der Rothaarigen zunächst die gesamte Vorbereitung wie am Vortag und brachte seine Kunst dann gleich an Ort und Stelle vor dem Gewerkschaftshaus zur Aufführung. Womit er auch sofort, da nun die gesamte Siedlung von ihm wusste, jede Menge Leute anlockte. Der Mann vollbrachte mit seinem weißen Ball wahre Wunder. Was Tuny Robledo, Lauchita Castillo oder Pe Uno Gallardo, die technisch versiertesten Spieler unserer Mannschaft, an Tricks auf Lager hatten, war Kinderkram verglichen mit seiner Zauberei.
Cachimoco Farfán kam heute ebenfalls zum Gewerkschaftshaus und kommentierte zur Freude des Publikums alle Einzelheiten der Vorstellung in einer packenden Liveübertragung. Und das trotz der wenig einladenden Blicke unseres Traumkickers, der keinerlei Sympathie für die Rolle erkennen ließ, die der Irre mit der Blechbüchse in seiner Show
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