Der Traumkicker - Roman
Außer Totschlag, versteht sich. Wobei auch der vorkam, weil man ja mit allem Erdenklichen aufeinander eindrosch, und deshalb endeten die Turniere immer mit ein paar Toten und jeder Menge Blessuren. »Und, meine Guten, eine Legende erzählt, zum ersten Mal habe man dieses Spiel mit dem Kopf eines dänischen Königs gespielt, den man ihm nach verlorener Schlacht abgeschlagen hatte.«
Als der Traumkicker auf manchen Mienen einen leichten Zweifel bemerkte (schließlich wussten wir nicht, ob das alles stimmte oder er uns nur auf den Arm nehmen wollte), erzählte er, »damit die Guten ein für alle Mal Bescheid wissen«, von den Ursprüngen desFußballs, die viel weiter zurückreichten, als die Sterblichen gemeinhin dachten. Und mit seiner heiser hallenden Stimme (»der klingt wie die Figur aus einem Horrorfilm«, hatte Zanahoria, einer der Türsteher vom Kino, gesagt) berichtete er uns von derart unerhörten und abenteuerlichen Dingen, dass wir am Ende zu dem Schluss gelangen mussten, mit Expedito González nicht nur ein Genie am Ball, sondern eine Art Gelehrten der Materie vor uns zu haben. So sei die Vorgeschichte des Fußballs im fernen Osten anzusiedeln, genauer in China und Japan (und hier ließ er sogar den Namen irgendeiner Dynastie fallen). Denn schon im fünften Jahrhundert vor Christus hätten sich die Angehörigen des kaiserlichen Heeres in China mit einem Militärspiel auf den Krieg vorbereitet, das erhebliche Ähnlichkeiten mit dem heutigen Fußball aufweise. Ein mit Federn und Tierdärmen gefüllter Lederball musste dort mit Hilfe des Fußes in ein kleines Netz befördert werden, das eine Öffnung von dreißig auf vierzig Zentimetern besaß und zwischen zwei langen Bambusstangen hing.
Angestachelt von der Aufmerksamkeit der Zuhörerschar (einschließlich der Rothaarigen, die an seinen Lippen hing, als hörte sie ihn zum ersten Mal über dieses Thema reden), schilderte er uns auch eine Variante des Spiels, die etwa fünf- bis sechshundert Jahre später in Japan aufgetaucht war und dort bis heute gespielt wird. Es war eine Art Kreis-Fußball, weit weniger spektakulär als die andere Form, dafür aber sehr feierlich. Eigentlich handelte es sich eher um eine Art zeremonielle Übung, bei der zwar ein gewisses technisches Geschick nötigwar, es jedoch nicht ums Gewinnen ging und man daher auch nicht um den Ball kämpfte. Die Spieler standen auf einem eher kleinen Platz im Kreis und taten nichts weiter, als sich den Ball gegenseitig zuzuspielen, ohne dass er den Boden berühren durfte.
An der Stelle fielen wir ihm begeistert ins Wort und erzählten, dass sich unsere Spieler mit genau demselben Spielchen für gewöhnlich aufwärmten, bevor es auf den Platz ging.
Der Mann sah uns finster an wie ein Oberlehrer, den man beim Vortrag stört, und sprach dann wieder auf uns ein, diesmal über die ersten Bälle der Geschichte. Die seien bereits auf einigen sehr alten chinesischen Ritzzeichnungen zu sehen und auf über tausend Jahre alten Wandmalereien in Mexiko. Man hatte sogar welche auf einem griechischen Grabmal gefunden, fünfhundert vor Christus in Marmor gehauen. Die Chinesen hätten ihre Bälle mit Werg gefüllt, die Ägypter Stroh und Spelzen in bunte Tücher gestopft und Griechen und Römer Rinderblasen mit Luft gefüllt und zugenäht. Als unser Traumkicker uns gerade darlegte, die Europäer hätten im Mittelalter mit einem eiförmigen, mit Rosshaar gestopften Ball gespielt, in Mexiko sei dagegen Kautschuk verwendet worden, fiel sein Blick auf Cachimoco Farfán, der auf seinem Stuhl in Tiefschlaf gesunken war. Er trat, ohne seinen Vortrag zu unterbrechen, leise zu ihm hin, nahm ihm die Orange weg, die er in den Händen hielt, und begann zur Verblüffung und Erheiterung der Anwesenden damit seine Zirkustricks vorzuführen wie mit dem besten aller Profibälle.
Es war schon später Abend, und wir sahen im geschlossenen Saal vom Gewerkschaftshaus dem Genossen Pata Pata dabei zu, wie er Blut und Wasser schwitzend versuchte, die Gewerkschaftsversammlung ohne Rechtschreibfehler auf der Tafel anzukündigen, da klopfte es an der Hintertür, und Don Benigno Ramírez betrat den Saal. Ob er alle ins Huachipato einladen dürfe. Er hatte die neueste LP von Miguel Aceves Mejía unterm Arm, die er über die Kneipenlautsprecher hören wollte. Allerdings wusste hier jeder, dass das nur ein Vorwand war, um eine Weile mit jemand zu plaudern.
Don Benigno Ramírez war ein liebenswürdiger und einsamer Junggeselle, ein
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