Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
Vom Netzwerk:
unverdrossener Plauderer, einer der wenigen, die noch einen Filzhut trugen. Außerdem besaß er eine Schwäche für das Schiedsrichteramt. Wenn die Mannschaftskapitäne auf der Tribüne einen suchten, der gewillt war, die Partie zu leiten, meldete er sich immer (wir wussten alle, dass er unter seinem Sonntagshemd schon das schwarze Schiedsrichtertrikot trug, das er sich aus der Hauptstadt hatte kommen lassen). Doch nur wenn sich kein anderer fand, das Spiel längst hätte angepfiffen sein sollen und partout nichts anderes übrigblieb, drückte man ihm widerstrebend die Pfeife in die Hand. Weil Don Benigno nämlich als Unparteiischer eher ein Fall für sich, um nicht zu sagen wunderlich war. Dass er während des Spiels seinen Hut nicht absetzte und sein Alter ihn zwang, die gesamte Partie vom Mittelkreis aus zu leiten, war das eine, doch dass er in die Bewertung eines Fouls nicht allein Versehen oder Absicht, Geringfügigkeit oder Schwere, sondern die gesamte Lebensführung der beteiligten Spieler einfließen ließ, das war das andere: Er erwog und überdachte das Betragen der Spieler auf der Arbeit, ihr Sozialverhalten, ihre Moral (zu oft blaugemacht, als Nachbar nicht hilfreich, als Vater nicht tüchtig, ein zu loses Mundwerk und so weiter) und entschied daraufhin auf Verwarnung oder Platzverweis oder verzieh dem Missetäter.
    Unvergessen war in der Siedlung jenes Freundschaftsspiel zum Nationalfeiertag zwischen Junggesellen und Verheirateten, das Don Benigno abbrach, ehe es begonnen hatte. Als die Verheirateten zum traditionellen Gruß an die gegnerische Mannschaft auf den Platz liefen, riefen sie nicht etwa ein dreifach Hurra-hurra-hurra auf die Junggesellen, sondern brüllten stattdessen:
    »Ein dreifach Hurra-hurra-hurra auf die fleißigen Handwerker! Hurra! Hurra! Hurra!«
    Zum Ausgleich lief dann die Mannschaft der Junggesellen auf, kam sehr dicht vor der Tribüne zum Stehen und schrie dort, press vor den Ehefrauen der gegnerischen Mannschaft, aus vollem Hals nicht ein dreifach Hurra-hurra-hurra auf die Verheirateten, sondern:
    »Ein dreifach Hurra-hurra-hurra auf die Gehörnten! Hurra! Hurra! Hurra!«
    Don Benigno Ramírez, der bereits geschniegelt und gebügelt im Mittelkreis stand, pfiff auf der Stelle ab und erklärte die Partie wegen moralischen Fehlverhaltens und ungebührlichen Betragens beider Mannschaften für abgesagt. Was fiel denen auch ein!
    Nachdem er in der Kneipe zunächst darum gebeten hatte, ob man so freundlich wäre, seine Platte aufzulegen, gab Don Benigno Ramírez für alle die Bestellung auf und ließ noch, ehe er sich in die Plauderei vertiefte, zwei Flaschen nach hinten an den Tisch bringen, wo die vier Elektriker der Siedlung (das trefflichste Trinkerquartett der Wüste) schweigend tranken.
    Don Benigno besaß zwei wiederkehrende Gesprächsthemen: die Arbeit und die Schiedsrichterei. In dieser Reihenfolge. Und an diesem Abend war zum Missvergnügen aller das Thema Arbeit dran. Nicht umsonst sei er jetzt seit fünfunddreißig Jahren für das Unternehmen tätig. Fünfunddreißig Jahre und nicht einen einzigen Tag gefehlt, hob er in seinem schleppenden Tonfall an, der ein Schaf in den Schlaf wiegen konnte. »Die fünfunddreißig besten Jahre meines Lebens«, und dabei zog er bitter beleidigt die Mundwinkel nach unten. Mit fünfzehn habe er als Botenjunge im Generatorenhaus angefangen, aber sein Verantwortungsbewusstsein und seine Treue seien nicht nur durch diese kostbare Uhr gewürdigt worden, die wir hier sehen könnten (»und so eine Würdigung wird, nur dass ihr’s wisst, meine Lieben, nur sehr wenigen Angestellten zuteil«), nein, er werde auch bei jedem Unternehmensjubiläum zum besten Mitarbeiter des Jahres gewählt.
    Weil er stets die Zeche übernahm, wir aber seinen Sermon längst mitsprechen konnten, hatten wir zwei unfehlbare Methoden entwickelt, ihn frühzeitig ins Bett zu schicken: Entweder schenkten wir ihm stetig nach (sobald er sich etwas beschwipst fühlte, empfahl er sich vornehm und ging), oder wir redeten am Tisch Schweinereien. In welch letzterem Fall er uns eine Predigt überAnstand, Sitte und gutes Benehmen hielt, sich murrend verabschiedete und in seine Kammer in der Caupolicán-Gasse verschwand.
    So auch an diesem Abend. Als er hörte, wie Choche Maravilla unserem Kickerfreund erzählte, dass hier jeder, weil die Häuser ja alle aus Wellblech sind, Kumpel, sein geheimes Guckloch hatte, um den Nachbarn beim Huren zuzuschauen, nahm Don Benigno züchtig und

Weitere Kostenlose Bücher