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Der Traumkicker - Roman

Der Traumkicker - Roman

Titel: Der Traumkicker - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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übernahm. Über einige Ausdrücke des Radioreporters war er sichtlich nicht erfreut, vor allem nicht, als der ihn einen »schwarzen Koprolith« nannte. »Elektroenzephalogrammatische Wunder, verehrte Damen und Herren, meine lieben Patienten, die unser schwarzer Koprolith hier mitdem ledernen Rund vollführt! Beim großen Einlauf und allen phenylalaninen Hydrolasen!«
    Obwohl sie nach der Vorstellung fast doppelt so viele Münzen gesammelt hatten wie am Vortag, wurde die Laune der beiden keinen Deut besser. Von dem, was sie erwarteten und normalerweise einnahmen, sei die Summe Welten entfernt, beklagte Expedito sich später, als wir auf einer Bank an der Plaza Redonda gegenüber der Krankenstation saßen und auf den Arzt warteten. Weil der am Vormittag nicht aufgetaucht war, hatte der dürre Lucho, einer der Arzthelfer der Siedlung, seines Amtes gewaltet, der Rothaarigen zwei Aspirin in die Hand gedrückt und eine Spritze ins Gesäß gegeben, eine Behandlung, die er fürsorglich allen Patienten ohne Ansehen ihrer Beschwerden zuteilwerden ließ, vor allem, wenn es junge Frauen waren.
    Doch auch am Nachmittag kam der Arzt nicht zur Visite, was schon häufiger geschehen war, als uns lieb gewesen wäre. Folglich war jetzt bis Freitag nichts mehr zu machen. Um die beiden auf andere Gedanken zu bringen, luden wir sie ein, unseren Fußballplatz kennenzulernen, der etwas außerhalb der Siedlung lag. So würden sie gleich einen Feierabendkick in der Wüste sehen können, sagten wir, eine der berühmten Bolzereien, die nach fünf am Abend stattfanden, wenn die Arbeiter von der Schicht kamen.
    Da hörten wir die Rothaarige zum ersten Mal sprechen. Weiter auf ihrem rosa Kaugummi kauend, sagte sie, wir sollten ihr bitte nicht bös sein, aber sie bleibe lieber im Gewerkschaftshaus.
    »Wenn es dir nichts ausmacht, natürlich«, sagte sie mit einem scheuen Blick zum Traumkicker.
    »Wenn Sie bleiben möchten, bleiben Sie«, sagte er.
    »Mir ist nur, als würde mir wieder so flau«, schnurrte sie.
    Neben dem hübschen Detail, dass die Rothaarige ihn duzte, er sie (als der weitaus Ältere) jedoch siezte, wurde uns in diesem Moment zweierlei sonnenklar: dass Expedito González bis in die Haarspitzen verliebt war, und dass die Frau eine vor Sinnlichkeit vibrierende, von Verheißungen schillernde Stimme besaß.
    Wir waren alle baff. Und Choche Maravilla ganz besonders, der sie fortan nicht mehr aus den Augen ließ. »Habt ihr das gehört?«, sagte er nachher ständig und leckte sich vor Geilheit den Schnauzbart. »Die klingt wie die Huren in französischen Filmen.«
    Als wir zum Fußballplatz aufbrachen, ließ sich dieser Saftsack von Choche Maravilla eine Entschuldigung einfallen, damit er sich von der Gruppe absetzen konnte. Und blieb in der Siedlung. Er müsse ins Gewerkschaftshaus und mit Gambetita eine Partie Dame spielen. Die Herausforderung sei schon bald eine Woche alt, und sie müssten sie endlich ausspielen.
    Gambetita war ein kleiner Greis mit verwachsenen Füßen, dessen orthopädische Schuhe beide nach innen wiesen, so dass er beim Gehen einen Fuß über den anderen heben musste, quasi das Gegenteil von dem, wie Charlie Chaplin in seinen Filmen geht. Er arbeitete als Flickschuster und nähte Fußbälle, sein eigentlicher Ruhm gründete jedoch darin, dass er der unangefochtene Dame-Champion der Gewerkschaft war. Er hatte die Angewohnheit, während des gesamten Spiels eine eintönige und unergründliche Leier vor sich hinzumurmeln (eine Art persönliches Mantra), womit er seine Gegner zum Wahnsinn trieb.
    Auf einem Stein am Spielfeldrand sitzend, bestaunte Expedito González unsere Feierabendbolzerei, ein unerhörtes Gerangel mit mehr als vierzig Mann auf jeder Seite.
    Kaum jemand war in dem kolossalen Wirrwarr, dem Getrete, Gerempel und Gestoße, mit Fußballschuhen unterwegs; die meisten trugen ihre Sicherheitstreter (die dicken mit den Stahlkappen) oder Strohsandalen, und nicht wenige dieser Wilden hetzten unbeschuht über das schroffe, salpetrige Geläuf, das unser Spielfeld war.
    Es war ebendieser karge Acker in der offenen Wüste, der unseren Mann am meisten beeindruckte, wo der Wind und ein viehischer Staub jedes Zuspiel »in den Lauf« und jeden durchdachten Spielzug unterbanden und wo »einer, der hinfällt, doch völlig ramponiert sein muss, mein Guter«.
    Sichtlich gerührt von dem höllischen Gekreisch und Palaver, das die Männer veranstalteten, während sie wie die Irren von einer Seite zur anderen spurteten,

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