Der Traumkicker - Roman
Und dass er hier auf dem Friedhof lag, das konnte er fast nicht glauben. Über den Flugzeugabsturz wusste er natürlich alles, aber das Übrige hätte er sich nie träumen lassen, das stand nicht in seinen Büchern.
Jetzt gaben wir alles und befeuerten seine Rührung und erzählten, was uns als anständige Wüstenbewohner mit Stolz erfüllte: dass Manuel »Lito« Contreras Ossandón, ehe er bei den Profis von Green Cross das Trikot mit der Nummer acht durchschwitzte, hier gelebt und die Schulbank gedrückt hatte.
Einer von hier war er gewesen, und nicht der Schlechteste.
Als wir eben ins Detail gehen und erklären wollten, dass er in María Elena gewohnt hatte, kam Tuny Robledo uns zuvor und behauptete, Lito habe hier mitten unter uns gelebt, in Coya Sur. Sein Haus sei gleich um die Ecke.
»Wenn Sie es sehen wollen, wir können es Ihnen gern zeigen«, schob unser Neuner nach.
Auf Expeditos stummes Nicken hin erhoben wir uns alle und verließen im Rudel die Kneipe. Die Rothaarige trottete schmollend hinterher. In der Calle Balmaceda kam unsere Prozession vor dem Haus mit der Nummer 86 zum Stehen, Tuny Robledo zeigte darauf und sagte in gewichtigem Ton:
»Das ist es.«
Ja, hier, genau hier habe Lito Contreras gewohnt, bestätigten wir im Chor und zeigten auf das Haus, in dem in Wirklichkeit »Picho« Contreras gewohnt hatte, einer von Tuny Robledos besten Freunden (vor kurzem in Antofagasta gestorben), dessen Spezialität es schon als Kind gewesen war, mitten im Spiel wutentbrannt den Ball mitgehen zu lassen, wenn man ihn auswechselte.
Expedito González war ehrlich bewegt. Neben ihm kaute die Rothaarige gänzlich ungerührt auf ihrem Kaugummi und sah uns argwöhnisch an (die Frau kam uns immer ausgeschlafener vor).
Um den letzten Zweifel auszuräumen und mit der Ratlosigkeit, die noch in seinen Augen flackerte, kurzen Prozess zu machen, sagte Tuny Robledo, wenn er es wünsche, würden wir jetzt gleich zusammen zum Friedhof und ans Grab seines Helden gehen.
Das war das i-Tüpfelchen.
An dem Tag, da waren wir uns einig, hatte Tuny Robledo einen Volltreffer gelandet. Unser Mittelstürmer, der für die Mannschaft vom Minenladen und für die Ortself spielte (braves Milchgesicht und Beatlesfrisur), war nicht nur der bunte Hund unserer Truppe, sondern noch dazu, wie Cachimoco Farfán sich ausdrückte, gesünder als Natriumbicarbonat. Das genaue Gegenteil von Choche Maravilla, seinem besten Kumpel. Die beiden waren in allem verschieden. Allem voran jedoch in zwei für beide grundlegenden Punkten: in ihrem Verhalten auf dem Platz und Frauen gegenüber. Auf dem Platz feierte Choche Maravilla seine seltenen Tore (fastausschließlich Zufallstreffer) mit großem Hurra, hüpfte herum und schrie und fiel aller Welt um den Hals; Tuny Robledo dagegen konnte in allerletzter Minute durch einen spektakulären Fallrückzieher den Siegtreffer erzielen und hob dann inmitten von Schulterklopfen und Glückwünschen seiner Mannschaftskameraden allenfalls die Hand, während er mit hängendem Kopf zum Mittelkreis trabte. Was Frauen anging, waren die beiden Freunde sogar noch verschiedener: Choche Maravilla hatte ständig allerhand Eisen im Feuer, nicht nur in unserer, sondern auch in den drei Nachbarsiedlungen, und galt in Kinos, auf Plätzen und in Höfen als Fummelkönig. Tuny Robledo war hingegen von jeher nur in ein Mädchen verliebt, in Marilina, die Tochter von Don Celestino Rojas. Doch war er auf diesem Gebiet so schüchtern und wenig draufgängerisch, dass die beiden trotz der langen Zeit, in der er sie schon umgarnte, nur Händchen gehalten und sich im dunklen Kino ein paarmal geküsst hatten. Seine Freunde zogen ihn auf, der kleine Mittelstürmer müsse endlich »seine Milchzähne loswerden«. Und auch Cachimoco Farfán hatte als Kommentar zu irgendeinem vergeigten Spielzug schon über den ganzen Platz gebrüllt, »es wäre wirklich besser, liebe Hörerinnen und Hörer, dieses Papova-humana-Virus würde in die Bücherei gehen und eins von diesen nach Gardnerella vaginalis riechenden Liebesgedichten lesen oder machen, dass er heimkommt, und unter der Bettdecke seine Palme wedeln im Namen der Tochter von ihr wisst schon, wen ich meine!« Wenn dagegen Choche Maravilla eine Torchance vergab, schickte ihn Cachimoco Farfán sofort zum Duschen: »Unter die Dusche, aber unter die antipyretische, meine Damen und Herren, damit bei dem verdammten Bock die Hitze endlich nachlässt und die Hormone Ruhe geben!« Oder er bat ihn im
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