Der Traumkicker - Roman
Diablo, dem zentralen Verteidiger von María Elena, der als der schlimmste Holzfäller aller Zeiten galt. Ein Tyrannosaurus von einem Meter siebenundneunzig, der sich brüstete, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus reinem Spaß an der Freude hinzulangen. Dunkle Geschichten rankten sich um ihn, von gebrochenen Schienbeinen und zertrümmerten Kniescheiben, von ausgeschlagenen Zähnen und fulminanten Knockouts. Außerdem besaß er den gefürchtetsten Schuss weit und breit. Seine größte Glanzleistung war gewesen, dass er einmal im Stadion von María Elena von einem Punkt außerhalb des Strafraums ein Stück der Wellblechabsperrung (zwanzig Meter hinter dem Tor) umgeschossen hatte, was die Staubfresser dann nie ausgebessert hatten, sondern wie eine Kriegstrophäe vorzeigten, um die Gastmannschaften Mores zu lehren.
Trotz der nachmittäglichen Hitze kam uns der Weg beim angeregten Geplauder kurz vor. Auf dem Friedhof traten Expedito González Tränen in die Augen, als er vor dem Grabhäuschen des Spielers von Green Cross stand. Laut Inschrift war Manuel »Lito« Contreras Ossadón zum Zeitpunkt seines Todes erst zweiundzwanzig Jahre alt gewesen. Über die Einzelheiten des Unfalls war unser Traumkicker natürlich im Bilde: Dass am 3. April 1961 das Flugzeug mit der halben Mannschaft auf dem Rückweg von einem Pokalspiel gegen Osorno an einemAndengipfel zerschellt war und von Passagieren und Besatzung niemand überlebt hatte.
Hier dachte Tuny Robledo laut über etwas nach, das er die Widersinnigkeiten nannte, die dem Leben offenbar Spaß machten: Das Unglück hatte sich etwa zur gleichen Zeit ereignet, als der unerschrockene russische Kosmonaut Juri Gagarin in seiner abenteuerlichen Raumkapsel erstmals die Erde umrundete.
Als er sich wieder etwas gefasst hatte, setzte sich unser Mann in den Schatten des Grabhäuschens, ließ den violetten Kranz zwischen seinen Beinen baumeln und erzählte uns von seiner Kindheit in den Straßen von Temuco und von seinen ersten Tanzschritten mit dem Ball aus Lumpen. Und fast ohne dass wir es merkten, entspann sich dort am Grab unseres berühmten Fußballprofis plötzlich ein lebhaftes Gespräch darüber, was der Fußball im Leben eines Mannes bedeuten kann; wie er sein Wesen beeinflusst und seine Art, Schwierigkeiten zu meistern. Wir waren uns alle einig, dass auf der begrenzten Fläche eines Fußballplatzes die besten und die schlechtesten Seiten des Menschen zutage treten. Dort auf dem Platz, auf einem Rechteck aus Rasen oder Staub, von Banden begrenzt oder offen, inmitten einer großen Stadt oder im gottverlassenen Nirgendwo konnte man in den knappen neunzig Minuten eines Spiels wahren Edelmut sehen, Kühnheit, Anstand und alles Vorzügliche, was in einem Einzelnen steckte; aber genauso konnte das Schlechte zum Vorschein kommen: Feigheit, Unfairness, Arroganz und Hinterhältigkeit. Wir nickten einhellig, als Expedito mit einem Anflug von Bitterkeitin der rauen Stimme sagte, niemand wisse, was Freude ist, wenn er nicht gegen den besten Torhüter des Jahres einen traumhaften Treffer erzielt habe; niemand wisse, was hemmungsloser Jubel ist, wenn er nicht in der Nachspielzeit eines Titelkampfs drei Gegenspieler nacheinander ausgespielt und seine Mannschaft zum Sieg geschossen habe. Aber ebenso wenig kenne ein Mensch auf Erden das Gefühl von Niederlage und tiefster Demütigung, wenn er nicht zwischen die Pfosten getreten war, um den Ball nach einem Eigentor aus dem Netz zu fischen.
Und zu guter Letzt stimmten wir alle darin überein: Niemand kannte das Entsetzen davor, allein im Universum zu sein, wenn er nicht im Tor auf seine Hinrichtung durch einen Elfmeter in der letzten Spielminute gewartet hatte.
Hier trat ein Augenblick der Stille ein. Der tiefen Stille. Als wäre ein Engel mit dem Finger an den Lippen über den Gottesacker geschwebt. Wir waren alle wie in uns selbst versunken. Schließlich stand der Traumkicker auf, hängte mit einem geradezu heiligen Ernst den Kranz über das Kreuz auf dem Grabhäuschen und rückte ihn liebevoll zurecht.
In dem Augenblick tauchte ein mitnichten engelhafter Schwarm Geier auf und zog gemächlich über dem Friedhof seine Bahn.
»Und siehe: die schwarzen Boten des Todes«, salbaderte Don Celestino Rojas.
Von Wehmut übermannt, hoben wir gleich darauf zu einem Lamento über all die Spieler an, die in früherenZeiten unser Trikot getragen, dann aber aus dem einen oder anderen Grund die Wüste verlassen hatten. Die einen auf der Suche nach neuen
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