Der Traumkicker - Roman
zu), gingen wir alle ins Huachipato, um unserer Laune mit einigen guten Flaschen Wein und einer großen Platte kaltem Lachs mit Zwiebeln wieder aufzuhelfen.
(Am Tisch hinten im Lokal saßen bereits, umschwärmt vom lästigen Gesumm betrunkener Fliegen, die vier Elektriker der Siedlung.)
An unseren drei zusammengestellten Tischen waren alle schon mit dem Traumkicker versöhnt (bloß die Rothaarige schmollte und hatte nicht mitkommen wollen), und keiner wusste, ob er beim Gedanken an dessen grausig geblähten Sack nun vor Heiterkeit weinen oder vor Kummer lachen sollte. Nicht dass wir herzlos gewesen wären oder einen schrägen Humor gehabt hätten, aber da war etwas, das vor lauter Schreck und Verblüffung nur ein paar von uns wahrgenommen hatten: Auf das Ei waren Augen, Nase, Mund und Schnauzbart gemalt.
Weil nämlich, wie uns Expedito mit einem schiefen Lächeln wissen ließ, die Rothaarige nachts gern, nachdem sie mütterlich ihr Ohr an den kranken Hoden gehalten hatte (er rumorte, als lebte ein Fötus darin), damit herumspielte und ihn mit ihrem Augenbrauenstift verzierte.
Danach erzählte er, als Kind sei es ihm sehr schwergefallen, mit diesem kranken Körperteil zu leben. Zuweilen verursachte es stechende Schmerzen, dass ihmschwarz vor Augen wurde, wie gestern im Gewerkschaftshaus. Aber schließlich hatte er gelernt, sich damit zu arrangieren, und es behandelt wie ein Haustier, das er abends vor dem Einschlafen kraulte und dem er ausführlich von seinen kindlichen Kümmernissen und Hoffnungen erzählte. Sogar einen Namen hatte er ihm gegeben, wie manche Menschen ihrem Herzen: »Bobo«.
»Weil nämlich mein Ei«, und jetzt klang er ein wenig sentimental, »immer so etwas gewesen ist wie mein zweites Herz.«
Natürlich hatte es ihn gefreut, dass sich die Rothaarige nicht wie andere Frauen davor gegraust, sondern sie damit gespielt und es liebevoll bemalt hatte. Je nachdem, wie sie gelaunt war, fiel ihre Zeichnung aus. Mal war sein Ei morgens über und über mit pfeildurchbohrten Herzen verziert, mal zu einem Fußball geworden, mit Waben und allem. Oder es lächelte einen als Herr mit Schnauzbart und Brille an, wie wir es am Vormittag hatten sehen können. Doch in ihren melancholischen Nächten, da ließ sie ihrer Schwermut freien Lauf, überzog seinen Hodenbruch mit Blütenblättern und verwandelte ihn in eine nekrotische, violett unterlaufene Rose.
»Jetzt verstehe ich, warum Sie diese weiten Hosen tragen, mein Freund«, sagte unser Zeugwart irgendwann zu ihm, die Augen schon glasig vom Bier.
Und sich die spärlichen Haare über dem kahlen Schädel glattstreichend, rückte er seinen Stuhl etwas näher heran und fuhr fort, er hätte ihm schon am ersten Tag zu gern gesagt, dass ihm die Fußballhose, um ehrlich zu sein, nicht eben gut stand, und er sei ja Fachmann undkönne sie in Form bringen, sie ihm hübsch auf den Leib schneidern, wie man sie heutzutage trug.
»Ich bin nicht von ungefähr der beste Zeugwart, den die Elf von Coya Sur je hatte, mein Freund«, sagte er und schlug scheu die Augen nieder.
Er stopfe und nähe und flicke ja eigenhändig all die Hosen und Trikots, die schon ganz verschlissen und kaum mehr zu retten waren.
Expedito González sah ihn leicht befremdet an, tat dann aber begriffsstutzig und sagte nichts dazu. Jemand rückte zu ihm und klärte ihn auf, was in der Siedlung hintenherum über den Zeugwart unserer Elf geraunt wurde, dass sich dem nämlich, wenn er sich betrank, die Wimpern verlängerten.
Davon war sogar Cachimoco Farfán noch nichts zu Ohren gekommen, weil es nur flüsternd und von wissendem Gekicher unterbrochen im Halbdunkel der muffigen Umkleide verbreitet wurde. Dort hieß es auch, der Zeugwart sei von jeher in Crispeta Mundaca, den gut gebauten zentralen Verteidiger von Coya Sur, verliebt. Was man unter anderem daran erkenne, wie gepflegt das Trikot des Spielers immer aussehe, wenn er aufs Feld kam. Denn auch wenn Juanito Caballero alle Hemden stets überaus penibel und sorgfältig bügele, sei doch das mit der Nummer drei immer am glattesten gezogen, sei am besten von allen zusammengelegt und trage die unauffälligsten und kunstfertigsten Flicken. Die größten Lästermäuler behaupteten gar, wenn man dem Dreier ein wenig näher komme, steige einem vom Trikot ein sanfter Duft von Veilchenwasser in die Nase.
Als wir später im Schatten unter dem Schilfrohrdach vom Rancho Grande ein wenig Siesta hielten, schickte der Leiter der Abteilung für Soziales nach den
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